Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
sie zu seinem Opfer.
Beherzte Vagabundin sucht männliche Pendant
Ziemlich exakt hundert Jahre bevor Dea Loher den Blaubart als Frauenfantasie Amok laufen lässt, hat Maurice Maeterlinck den Gedanken durchgespielt, was mit Blaubart geschieht, wenn er einmal tatsächlich an eine Frau gerät, die ihm zwar nicht ihre Liebe, aber jeglichen Gehorsam, jegliche Unterwürfigkeit konsequent bis zum Schluss verweigert. Im Original heißt sein Singspiel Ariane et Barbe-B leue , ein völlig angemessener Titel, denn im Zentrum der Handlung steht deutlich Ariane, während Blaubart lediglich als passive Nebenfigur erscheint. Am Rande sei erwähnt, dass dem deutschen Übersetzer diese Umgewichtung der Figuren offensichtlich nicht ganz geheuer war, weshalb das Drama im Deutschen den Titel Blaubart und flriane trägt.
Ariane ist eine furchtlose, im besten Sinne emanzipierte Frau. Auch wenn uns ihre Vorgeschichte im Drama nicht wirklich erzählt wird, ist zu ahnen, dass sie sich bereits mit zahlreichen schlaffen Männern gelangweilt hat – und nun hofft, in dem berüchtigten, Frauen verschleißenden Blaubart ein ebenbürtiges Gegenüber zu finden. Kaum auf dem Schloss angekommen, macht sich die Grenzüberschreiterin auf die Suche nach der verbotenen Tür, von der sie so viel gehört hat. Ihre Amme, mit der zusammen sie reist, versucht sie, daran zu hindern, aber Ariane erklärt ihr: »Ich muss zunächst ungehorsam sein; das ist die erste Pflicht, sobald er befiehlt und droht, statt zu erklären... Ich will die verbotene Tür öffnen... Alles, was erlaubt ist, wird uns nichts lehren.«
Blaubart kommt in jenem Moment hinzu, in dem Ariane die verbotene Tür geöffnet hat. Sein Kommentar: »Auch du...«
Ariane: »Ich vor allen.«
Blaubart: »Ich hielt dich für stärker und klüger als deine Schwestern...«
Ariane: »Wie lange haben sie das Verbot befolgt?«
Blaubart: »Die eine wenige Tage, die andere ein paar Monate, die letzte ein Jahr...«
Ariane: »Die hättet Ihr allein bestrafen müssen.«
Blaubart: »Es war wenig genug, was ich verlangte...«
Ariane: »Ihr verlangtet mehr von ihnen, als Ihr gabet.«
Ariane ist die erste Frau – sowohl in diesem Werk, als auch in allen anderen Bearbeitungen des Stoffes -, die es wagt, Blaubart daran zu erinnern, dass eine Beziehung sich auf Augenhöhe bewegen sollte. Sie verweigert ihm die Unterwürfigkeit, und nicht nur das: Gleich zweimal im Drama wird sie zu seiner Retterin, indem sie sich dem tobenden Mob, der Blaubart lynchen will, entgegenstellt und erklärt, sie habe die Situation im Griff. Nach der ersten Rettung Blaubarts durch Ariane lautet die Maeterlinck’sche Regieanweisung: »Ariane drängt die Bauern sanft zurück [...] während Blaubart mit gesenkten Blicken dasteht und die Spitze seines Schwertes betrachtet.« Selten dürfte man auf dem Theater einen kastrierteren Blaubart gesehen haben.
Um diejenige zu »bestrafen«, über die er so wenig Macht hat, sperrt Blaubart auch Ariane in das Verließ hinter der verbotenen Tür, in das er seine früheren Frauen gesperrt hat und in welchem diese eine Schattenexistenz führen. Doch Ariane empfindet weder Furcht, noch fühlt sie sich durch die Vorgängerinnen herabgesetzt, im Gegenteil: Sie preist die Schönheit der anderen Frauen und macht sich zur Anführerin ihres Befreiungsversuchs.
So zugewandt sie den »Schwestern« ist, kann sie allerdings eins nicht verstehen. »Was ist denn das?«, fragt sie, »lebt ihr immer so in Furcht und Schrecken?«
Und kurz darauf stellt sie fest: »Meine armen, armen Schwestern! Warum wollt ihr denn befreit sein, wenn ihr die Finsternis [sprich: Gefangenschaft] so liebt?«
Tatsächlich gelingt es Ariane, sich und die anderen aus dem Verließ zu befreien – allerdings scheitern sie bei dem Versuch, auch Blaubarts Burg zu verlassen. Blaubart selbst ist verschwunden. Arianes luzider Verdacht: »Er ist fortgegangen, vielleicht zum ersten Mal erschüttert...« Doch ahnt sie, dass er zurückkommen wird, und hilft deshalb den anderen Frauen, sich herauszuputzen – nicht etwa, indem sie ihnen noch reichere Kleider anlegt, sondern indem sie die Frauen ermahnt, ihre natürliche Schönheit nicht künstlich zu verstellen.
Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang: Balazs und Bartók war das Maeterlinck’sche Blaubart-Drama bekannt, das heißt, dass sie in ihrer Bearbeitung dieses Motiv absichtsvoll umgedreht haben, wenn ihr Blaubart seine Judith am Schluss unter kostbaren Kleidern begräbt
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