Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
Ruhe, wenn sie den Mann zerlegt hat. Und so wie des Mannes kriegerisch-forsches Niederreißen aller Grenzen letztlich zur Vernichtung führt, wohnt auch dem weiblichen Wollen, den Mann restlos zu erforschen, zerstörerische Kraft inne.
Oberflächlich betrachtet mag man Judiths und Elsas Drang, in den letzten Winkel der Psyche, der Geschichte ihres Geliebten vordringen zu wollen, als »die berüchtigte weibliche Neugier« abtun. Wagner, Balázs und Bartök haben jedoch erkannt, dass hinter dieser »Neugier« eine machtvolle Angst steht: Der weibliche Minderwertigkeitskomplex, hässlicher, wertloser, unattraktiver zu sein als die anderen Frauen, die im Leben des Geliebten eine Rolle gespielt haben und immer noch spielen mögen. Das Motiv der »weiblichen Treue/Untreue«, das im Tieck’schen Blaubart und auch im Fliegenden Holländer die zentrale Rolle spielt, erfährt in Lohengrin ebenso wie im Balázs’-Bartók’schen Blaubart eine fast paradoxe Umdeutung: Hier wird den Frauen nicht ibre Untreue zum Verhängnis bzw. die übersteigerte Sorge der Männer, ihre Frauen könnten sie betrügen – hier wird den Frauen zum Verhängnis, dass sie den Gedanken nicht ertragen können, nicht die Einzige zu sein, die der Mann liebt, sprich: Ihnen wird die Untreue des Mannes, ihr eigener überzogener Begriff von der einzigen, der absoluten Liebe, zum Verhängnis.
Frau, einsam, gelangweilt, sucht Mann, gern auch Schwerverbrecher
Weitere hundert Jahre später, in Dea Lohers Theaterstück von 1998 Blaubart – Hoffnung der Frauen , scheitern die Protagonistinnen gleich reihenweise an ihrer Sehnsucht nach der übergroßen, der maßlosen Liebe. Lohers Blaubart heißt mit Vornamen Heinrich und ist ein etwas introvertierter Damenschuhverkäufer, der offensichtlich keine großen Erfahrungen mit der Liebe, mit den Frauen, hat. Gleich in der ersten Szene begegnet ihm Julia, eine junge Frau, die an ihrem achtzehnten Geburtstag einsam Eis schleckend auf einer Parkbank sitzt. Heinrich Blaubart und Julia kommen ins Gespräch, und in einer grotesken Beschleunigung treibt Loher das Paar nach nur wenigen Sätzen in den Dialog hinein:
Julia: »Ich liebe dich.«
Heinrich: »Ich liebe dich auch.«
Julia: »Ich liebe dich über die Maßen.«
Heinrich: »Ich liebe dich auch.«
Julia: »Ich liebe dich über die Maßen.«
Heinrich: »Ich liebe dich ja auch.«
Julia: »Über die Maßen.«
Julia steigert sich immer mehr in ihren Liebe-über-die-Maßen-Rausch hinein, Heinrich will sie zurückhalten, doch sie zieht ein Fläschchen mit Gift hervor und trinkt es. Um ihm zu beweisen, dass sie ihn tatsächlich »über die Maßen« liebt. Heinrich bleibt ratlos zurück.
So beginnt bei Dea Loher die Karriere des großen Frauenmörders. Und Julia bleibt in dem Stück nicht die Einzige, die den an und für sich banalen Heinrich Blaubart in die Rolle des Serienmörders hineinzwängt – weil sie selbst mit ihrer Existenz nichts anzufangen weiß.
Eine Christiane, die Mann und Kinder verlassen hat, bedrängt ihn später im Stück: »Ich möchte nie mehr zur Ruhe kommen, nie mehr, ich möchte mich nie mehr langweilen müssen, ich möchte nie mehr abends fernsehen, ich möchte einen Mann, der ein gesuchter Schwerverbrecher ist und mit ihm quer durch Europa fliehen, ich möchte in Tanger an Land gehen und bei Sonnenuntergang die Ärsche der kleinen Jungen küssen-«
Heinrich: »Reizen Sie mich nicht.«
Christiane: »Ich möchte mich nicht mehr verlieben, ich möchte nicht mehr heiraten, ich möchte den Mann treffen, der mein Herz in schäumender rücksichtsloser Leidenschaft zerreißt, der mein Innerstes nach außen kehrt, der sich nimmt, ohne zu fragen.«
Blaubart tut ihr den Gefallen und schleudert ihren Kopf an die Wand, bis sie tot ist. Der weibliche Versuch, die eigene Leere mit der Hingabe an einen zu füllen, der seinerseits aus Ennui alle Zivilisationsgrenzen überschritten hat, kann nur tödlich enden. Dies führt uns Dea Loher noch radikaler vor als Baläzs und Bartók. Dennoch verfolgen beide Bearbeitungen dasselbe unausgesprochene Motiv: Auf dem Grunde seines Herzens sucht Blaubart eine Frau, die genug Stärke, genug Selbst besitzt, sich seinem Unterwerfungswillen entgegenzustellen. Nicht ihr Ungehorsam besiegelt das Schicksal der Frauen, sondern ihre Schwäche. In dem Moment, in dem sie die alte weibliche Unterwürfigkeit, den alten weiblichen Minderwertigkeitskomplex hervorkehren, in dem sie sich selbst zum Opfer machen, macht auch Blaubart
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