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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Mobiliar geblieben sind, während der »rechte« sich über die neuen Gartenzäune hermacht, die von der politischen Korrektheit gezogen wurden. Doch so wie der archaische Tabubrecher damit rechnen muss, von der gesamten Gemeinschaft verstoßen zu werden, sollte der Bürgerschreck es wenigstens aushalten, wenn ihm die bürgerliche Mitte ihre Gunst entzieht. An dieser Fähigkeit scheint es in jüngster Zeit zu mangeln.
    In einem Stern-Interview fordert Charlotte Roche zum x-ten Mal den befreiten »tierischen« Sex, und dass es einem egal sein soll, ob man Haare an den Beinen hat. Auf die Nachfrage der Interviewerin, dass ihre eigenen Beine verdächtig epiliert aussähen, gibt die heilige Johanna der Feuchtgebiete zu: »Nee, stimmt, ich bin da gar nicht behaart. Ich habe doch selbst auch mit diesem Druck zu kämpfen. Als Viva-Moderatorin hatte ich unrasierte Achseln und habe gelitten wie ein Hund, weil Kollegen und Zuschauer mich fertiggemacht haben.«
    Ach Gottchen. Ist Janis Joplin etwa dazu übergegangen, sich nur noch Vitamine zu spritzen, weil »Kollegen und Zuschauer« sie als Drogenschlampe »fertiggemacht« haben? Mit solchen Verlautbarungen biedert sich die Löwin als Bettvorlegerin für exakt jene Schlafzimmer an, die sie angeblich aufmischen will. Vom Pathos der Einsamkeit, das dem Bürgerschreck einst seine Aura verlieh, ist die Larmoyanz des Scheidungskinds geblieben, das keine Zurückweisung mehr ertragen kann.
    Auch »Lady Bitch Ray« galt eine kurze Saison als Tabubrecherin, weil sie im Fernsehen fünfzehnmal ohne zu stottern das Wort »Fotze« ausgesprochen hatte. In einem ihrer Songs heißt es: »Deutschland, ich ficke dich in den Arsch«. Der besorgten deutschen Medienvertreterin säuselte die Skandalnudel ins Mikrofon: »Ich liebe Deutschland, denn erst hier konnte ich zu dem werden, was ich heute bin.«
    Dass auf dem Boulevard keiner meint, was er sagt, und jeder alles kräht, solange es ihm Aufmerksamkeit sichert, ist nicht neu und braucht nicht zu irritieren. Kritisch wird es, wenn der Bullshit beginnt, die Agora zu überschwemmen – jenen Ort, der dem Streit um ernst gemeinte Inhalte vorbehalten sein sollte. Es ist unwürdig, wenn sich das Feuilleton von Figuren, die noch nicht einmal bereit sind, für ihre nichtigen Provokatiönchen geradezustehen, wochenlang die Themen diktieren lässt. Und es ist gefährlich, wenn die boulevardeske Haltung: »Alles egal, Hauptsache großes Geläut«, auch das Denken und Handeln jener bestimmt, die sich durch intellektuelle Redlichkeit auszeichnen müssten.
    »Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.« Mit diesem Satz warb die Bild Zeitung im vergangenen Jahr. Gandhi und Einstein konnten sich nicht mehr dagegen wehren, dass ihre Gesichter für diese Kampagne herhalten mussten. Alice Schwarzer hätte sich wehren können.
    Die diesjährige Börnepreisträgerin ist eine der wenigen Frauen, die die Geschichte der Bundesrepublik mit geprägt haben. Die von ihr initiierte Kampagne »Ich habe abgetrieben« stellte 1971 einen echten Tabubruch dar, für den Alice Schwarzer harsche Anfeindungen und gesellschaftliche Isolation in Kauf nahm. Menschlich ist es also zu verstehen, dass der einstige Paria sein Glück nicht fassen kann, wenn ihm der Mainstream dreißig Jahre später nicht mehr kalt ins Gesicht klatscht, sondern ihn auf sanfter Woge vor sich her trägt. Das Problem ist nur, dass die Integrität der einstigen Aufklärerin dabei mit baden gegangen ist.
    Als die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Jahr 2007 Schwarzers Buch Die Antwort vorabdruckte, mochte man ihr spontan gratulieren, es so weit gebracht zu haben. Die Gratulation blieb einem jedoch im Halse stecken, als man den Preis erkannte, den sie stillschweigend dafür bezahlt hatte: Obwohl sich ihr Buch als Generalabrechnung mit den diversen Bestrebungen der letzten Jahre begriff, das Rad der Emanzipation in Richtung »natürliche Geschlechterordnung« zurückzudrehen, wurde darin ein Name, der diesem Backlash entscheidende Impulse verliehen hat, nur am Rande und äußerst milde erwähnt: Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung .
    Aber es wäre unfair, allein Alice Schwarzer Unredlichkeit vorzuwerfen. Ebenso muss sich Frank Schirrmacher die Frage gefallen lassen, wieso er in »seiner« Zeitung ein Werk vorabdruckt, dessen Thesen er Seite für Seite als verheerend, ja nachgerade apokalyptisch falsch empfinden muss – wenn er jene Thesen, die er 2006 in seinem Buch

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