Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
GröÃe eines Ziegelsteins aus dem Karton und kramte nach der mehrbändigen Gebrauchsanweisung. »Der kann Strecke und Tempo bestimmen â das hast du dir doch so gewünscht«, sagte Mona lauernd. »Toll«, sagte ich.
Den Rest des Weihnachtsabends verbrachte ich im Garten. Ich hatte das Verlängerungskabel nach drauÃen gelegt, denn der Garmin brauchte Strom für den Akku. AuÃerdem musste man ihn justieren, also mit freiem Blick zum Himmel irgendwo hinlegen. Er musste einen Satelliten finden. Ein Garmin funktioniert überall auf der Welt. Wenn er einen Satelliten gefunden hat. »Und?«, fragte Mona durchs Fenster. »Er sucht noch, dauert höchstens eine halbe Stunde«, zitierte ich die Gebrauchsanweisung. Karl rief: »Nacht, Papa!« Ich nieste.
Der Garmin ist kein schlechtes Gerät. Er ist nur ziemlich auffällig, eben ein komplettes Navigationssystem für Leute, die in Wüsten laufen und am Polarkreis oder die den Atlantik durchschwimmen. In Gegenden mit StraÃenschildern ist er ziemlich überflüssig. Man muss das Ding mit einem Klettverschluss an den Oberarm schnallen. Auf meiner gelben Winterjacke ist er nicht zu übersehen. Mein Bizeps ist derzeit ausnahmsweise nicht repräsentativ genug für derlei Accessoires. Der Garmin ist schlichtweg oversized und angeberisch â ein Fuchsschwanz für Läufer.
Am zweiten Weihnachtstag ist Volkslauf, mitten in Berlin. »Da kannst du dein neues Supergerät gleich ausprobieren«, befahl Mona. »Mein Knie«, sagte ich. »Ich komme auf dem Fahrrad mit«, sagte Mona. »Ich auch«, krähte Karl. Na gut. Ich versuchte, den Garmin unter der Jacke zu befestigen. Doch dann sah ich das Display nicht. »Klapptâs?«, fragte Mona. Sie wollte unser neues Symbol der Besserverdienenden gut sichtbar getragen wissen.
Am Start standen ungefähr 800 Läufer. Ich hatte das Gefühl, dass sich alle anstupsten und grinsend auf meinen Oberarm zeigten. Sie hatten ja Recht. Ich war etwas überausgerüstet. Die verdammte StraÃe, auf der wir laufen würden, die sah man vom Satelliten aus mit bloÃem Auge.
Ich fühlte mich sehr einsam. »Na, Meester, haste Angst, dir zu verloofen?«, fragte ein Dicker neben mir und zeigte auf den Garmin. »Weihnachtsgeschenk«, sagte ich und zeigte über die Schulter,
wo ich Mona hinter der Ansperrung wähnte. »Ah, vastehe, die Lady, wa?«, wisperte der Kerl verständnisvoll. »Kenn ick. Ich hab letztes Jahr Leggings jekriegt, in mintgrün. Aber dieses Jahr« â er tippte auf sein Handgelenk â »dieses Jahr gabâs die hier.« Unter seinem Ãrmel blitzte eine nagelneue S625x. »Wie haben Sie Ihre Frau dazu gebracht?«, wollte ich wissen. »Gaa nich«, sagte er fröhlich, »ick hab mir scheiden lassen. Und die Uhr dann selbst jekooft.« Ich drehte mich um zu Mona und winkte.
Gepäckmarsch
Laufen ist nicht nur mehr oder minder zügiges Fortbewegen auf zwei Beinen, sondern kann Universen bedeuten. Zum Beispiel ist Laufen eine Materialschlacht. Manche Sportsfreunde treten selbst zur lästigen Regenerationsrunde an wie ein Sondereinsatzkommando. Es sind aber nicht immer die Besten, die mit pfundschweren Uhren, Handy, MP3-Player, Navigationssystem, Trinkgurt, Kopflampe und weiteren vier, fünf Kilogramm Gerümpel durch die Gegend wetzen. Im Gegenteil: Den Profi erkennt man an der spartanischen Ausrüstung. Er verlässt sich auf seine Beine und scheut jedes Gramm überflüssigen Gewichts. Eine läuferische Grundregel lautet daher: Je länger, je schneller, je ambitionierter, desto weniger Klimbim. Und umgekehrt.
Der menschliche Körper verhält sich zuweilen unmenschlich. Er bunkert das Fett, klammert sich daran wie ein Ertrinkender an den Rettungsring. Nur eines hilft wirklich: lange Läufe, mindestens zwei Stunden. Also rein in die Sportschuhe, ran an den Feind am eigenen Leib. Speck muss weg.
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Das Schlimmste an den guten Vorsätzen für das neue Jahr ist, dass man nur verlieren kann. Hält man sich dran, ist man ein SpieÃer, wenn nicht, wird man als Weichei verspottet. Die Kunst besteht also darin, sich Vorsätze zu suchen, die so aussehen, aber gar keine sind, weil man ohnehin nicht drumrum gekommen wäre. Lange Läufe sind leider auch die idealen Scheinvorsätze. Lange Läufe sind die Pest: Sie tun weh, sie dauern, sie sind
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