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Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer

Titel: Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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langweilig, demütigend, eklig. Lange Läufe heißen lange Läufe, weil ihr einziger Sinn darin besteht, lange zu laufen. Und man kommt nicht drumrum.
    Ich bin morgens um halb sieben losgetuckert, Richtung Volkspark. Habe alle drei Minuten auf die Uhr geguckt. Habe den Volkspark Lichtjahre hinter mir gelassen. Habe darauf geachtet, dass ich meinen Puls auf gar keinen Fall über 128 Schläge jage. Jetzt sind 83 Minuten vergangen. Ich langweile mich zu Tode. Ich hasse die Villen im Grunewald. Und es ist noch nicht mal die Hälfte. Nicht ein, nicht zwei, nein, drei Stunden soll man wetzen,
sagen alle Laufpäpste, 30 Kilometer mindestens, besser noch mehr. Quäl-Coach Peter Greif befiehlt sogar 35 Kilometer, die letzten davon volle Pulle. Wirklich, sehr witzig: Wie soll man auf dem Zahnfleisch sprinten?
    Lange Läufe sind durch keine Tricks zu ersetzen. Wer einen Marathon überleben will, entkommt ihnen nicht. Denn nur auf langen und langsamen Läufen lernt der Körper, sein Fett zu verbrennen. F-e-t-t v-e-r-b-r-e-n-n-e-n – klingt total sexy, oder? Man läuft durch die Gegend und der Glibber schmurgelt einfach davon: Weg mit dir, böses Schwabbelfett! Brennen sollst du, Hexenschmalz! Fettverbrennung. Wer dieses Wort erfunden hat, der ist ein begnadeter Demagoge. Es klingt so scharf wie »Teufelsaustreibung«. Wer wollte das nicht – Fett verbrennen?
    Bei mir ist es gleich so weit. Eine halbe Stunde noch. Dann brennt’s. Der Körper hat ja zwei große Energietanks. Im ersten ist Glykogen gebunkert, reine Kohlehydrate, Nudeln, Brot und Reis also, wovon sich aber nicht viel speichern lässt. Nach zwei Stunden ist auch der letzte Krümel davon verbrannt. Praktisch unbegrenzt viel Energie ist im Tank zwei gespeichert, an Hüften, Schenkeln und besonders viel über dem Sixpack.
    Doch Fett ist wie Sonne: Theoretisch bietet sie wahnsinnig viel Energie, praktisch aber nie dann, wenn man sie braucht. Der Körper will sein Fett nicht hergeben. Er hat über Jahrmillionen gelernt, überschüssige Kalorien zu speichern, als Reserve für lange kalte Winter. Er klammert sich an sein schönes warmes Fett. Also muss man den Körper einlullen, ihn gefügig machen, ihm den Eindruck geben, es kämen große Anstrengungen auf ihn zu. Ab zwei Stunden Langsamlaufen, da macht er sein Fett locker. Läuft man zu schnell, dann dreht er den Fetthahn zu. Und der Läufer bleibt stehen. Oder fällt gleich hin. Er ist auf jeden Fall am Ende.
    Ich bin jetzt 110 Minuten unterwegs. Vor 20 Minuten bin ich umgedreht, am Parkplatz Großer Stern. Noch eine Viertelstunde, dann habe ich meinen Rekord eingestellt. Zwei Stunden und fünf
Minuten. Es ist langweilig. Mein Knie tut weh. Warum habe ich meinen iPod nicht mitgenommen? Die Buddenbrooks hätte ich schon halb durchgehört. Dauernd überholen mich irgendwelche Blödmänner. Aber ich darf nicht schneller werden. Sonst breche ich ein.
    Gut, dass ich einen 20-Euro-Schein in die Unterhose gesteckt habe. Zur Not nehme ich mir ein Taxi. Aber woher kriege ich zum Teufel ein Taxi im Grunewald? Die Hose scheuert. Ich hätte mir noch einen Klacks Vaseline mehr zwischen die oberen Oberschenkel schmieren sollen. Alles brennt, nur das Fett nicht. Wahrscheinlich läuft schon Blut das Bein hinab in die Schuhe. Im Magen ziept es. Der Körper kratzt die letzten Glykogenreste zusammen. Walker reden auch immer von Fettverbrennung. Je langsamer sie durchs Unterholz schleichen, desto besser fackelt der Hüftring, glauben sie. Warum nur sind Walker dann alle so pummelig?
    Ich kann nicht mehr. Mein Puls ist fast bei 140. Zweieinhalb Stunden und das verdammte Fett will nicht brennen. Noch drei Kilometer. Ich kriege die Beine nicht mehr hoch. Die Knie wackeln. Disteln im Schritt. Stacheldraht im Bauch. Scherben in den Schenkeln. Warum schickt Mona keinen Krankenwagen? Ich schleiche. Eine ältere Dame mit ihren Einkaufstaschen geht 100 Meter vor mir. Ich komme ihr nicht näher.
    Zwei Blocks noch. Schon drei Stunden und zehn Minuten. Laufen ist scheiße und lange laufen noch viel mehr. Da vorn steht Roland, mit einer Brötchentüte unterm Arm. Er winkt. Ich will den Arm heben. Aber er will nicht. »Mann, Achim, schon ’nen halben Marathon gelaufen heute Morgen, wa?«, brüllt Roland über die Straße. »Mehr«, wispere ich. Roland lacht gehässig. »Alter Angeber«, sagt er. Wenn ich

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