Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
hergeschleift. Ihr hattet einen kleinen Rucksack dabei, darin eine Wanderkarte und ein Ãpfelchen. Die Männer hatten das Taschenmesser, die Frauen Labello und Hustenbonbons. In der Jackentasche hieltet ihr immer ein Päckchen Papiertaschentücher bereit. Jetzt seid ihr zu Walkern mutiert und unerträglich.
Neulich wollte ich wieder so eine Gruppe überholen. Als ich auf zehn Metern heran war, habe ich beschleunigt wie der Michi am Ende der Schikane. Sie sollten den Staub schmecken, den ich mit meinen kraftvollen Schritten aufwirbeln würde. Doch kaum hatte ich den Turbo gezündet, fuhr ein stechender Schmerz durch mein linkes Bein, so, als hätte mir jemand ein Starkstromkabel ins Knie gerammt. Ich machte »Hrrmmpf«, beugte mich vor und begann zu humpeln.
Die Walker drehten sich um. Ungerührte Blicke. »Alles in Ordnung«, quetschte ich ungefragt hervor. Trottet doch weiter, ihr Idioten, dachte ich. Taten sie auch. Das Schrappen ihrer Stöckchen
verhallte. Ich schleppte mich zum Parkplatz. Weil jeder Tritt auf die Kupplung höllisch schmerzte, fuhr ich im zweiten Gang nach Hause. Mona schüttelte nur den Kopf. Mein Stöhnen nachts ertrug sie nicht. Sie zog aufs Sofa. Der Orthopäde am nächsten Morgen fühlte und röntgte und murmelte irgendetwas von »Patellasehne«. Er befahl vier Wochen Laufpause, mindestens. Zum Abschied fragte er: »Haben Sieâs in ihrem Alter mal mit Walken versucht?«
Gehtâs noch?
Walking, das ist die gröÃte Breitensport-Bewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs, und nichts anderes als Spazierengehen in bunten, teuren und wahnsinnig professionell aussehenden Klamotten. So ist allen gedient: Menschen, die sich vorher nie bewegten, haben einen niedrigschwelligen Einstieg, Kranke und Ãbergewichtige eine sanfte Bewegung, die Sportartikel-industrie einen geldwerten Hype und die Läufer was zu lachen. Tatsache ist: Walking wurde als Marketing-Gag erfunden, um Skistöcke auch im Sommer abzusetzen.
Ernsthaftes Nordic Walking wird in deutschen Grünanlagen dagegen fast nie zur Aufführung gebracht. Diese schweiÃtreibende Betätigung wurde in Norwegen erfunden, um Skilangläufer im Sommer zu piesacken. Mit ausholendem Stockeinsatz vollführen echte Nordic Walker meterweite Sätze.
Die Vulgärwalker dagegen trotten durch den Tann, ziehen mit ihren schleifenden Stöcken Schlangenlinien in den Waldboden und blockieren die Wege, weil sie nie einzeln, sondern stets im Rudel auftauchen. Eine friedliche Co-Existenz zwischen Walkern und Sportlern ist kaum vorstellbar.
Lesen Sie dazu auch Achims welt- und wegweisende Gedanken im »Walker-Hasser-Manifest«.
Es ist gut zu wissen, dass es Menschen gibt, die Verständnis haben, die sich um andere sorgen, die immer da sind, wenn es wichtig ist. Kurz: Es ist gut, dass es Dauerläufer gibt. Sie sind so einfühlsam.
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Neulich war Klassentreffen. 20 Jahre ist das Abitur jetzt her, am humanistischen Schiller-Gymnasium zu Münster. Wie grausam. Das letzte Mal haben wir uns vor zehn Jahren gesehen. Schrecklich, was aus all diesen optimistischen, kraftstrotzenden, gut aussehenden jungen Menschen geworden ist. Hauptsache, Katharina hat sich nicht verändert. Katharina war schon immer ein Feger â und natürlich immer hinter mir her.
»Ich komme mit zu deinem Klassentreffen«, sagte Mona eines Morgens. Jetzt keinen Fehler machen, Achilles! »Okay, kein Problem«, sagte ich, »meine alten Klassenkameraden werden nichts dagegen haben, dass ich als Einziger mit Bodyguard erscheine.« Mona schwieg. Sie dachte darüber nach, wie es wohl sein würde, in einer Herde entfesselter, Bier pumpender Hooligans zu stehen, die sich ausschlieÃlich in Guttural-Lauten über Dinge verständigten, über die niemand anders brüllend lachen konnte, um sich morgens um vier unter Tränen in den Armen zu liegen und ewige Liebe zu schwören.
Als ich am Samstagabend die Stufen zum katholischen Jugendheim
St. Joseph patellabedingt hinaufhumpelte â der stille Siewert aus dem Deutsch-Leistungskurs war dort inzwischen Pfarrer geworden â, fielen mir als Erstes drei unglaublich breite Hinterteile auf: Kleemann, Schmadtke und Kullner. Vor einem knappen Vierteljahrhundert waren sie die Zierde unseres Doppelvierers, der bei »Jugend trainiert für Olympia« angetreten war. Daneben Köster, locker 120 Kilogramm, damals
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