Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
stärker.
Am wichtigsten ist eine goldene Regel: Nichts beim Marathon ausprobieren, was man nicht ausgiebig vorher getestet hat. Klassischer Fehler: In nagelneuen Schuhen zum Marathon, wegen der perfekten Dämpfung. Bei Kilometer 12 schwillt die Blase am FuÃ, bei Kilometer 21 platzt sie und zehn Kilometer später der Läufer.
Ein weiterer Fehler: Zu lange zu hart trainieren. Wer bis wenige Tage vor dem Marathon noch viele schnelle Kilometer schrubbt, der darf sich nicht wundern, wenn die gefühlte Form eher mittelmäÃig ist. Die Fachliteratur ist sich einig, dass die letzte Woche vor dem Start auf jeden Fall nur noch verhalten gelaufen werden sollte.
Achim Achilles ist tatsächlich beim Hamburg-Marathon gestartet. Und wie. Tausende Läufer rannte er in Grund und Boden. Und Zehntausende ihn. Das Protokoll eines zwiespältigen Vormittags.
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Seit Sonntagabend habe ich die Wohnung nicht mehr verlassen. Der Einzige, der mich seither gesehen hat, war ausgerechnet Supi-Roland. Er kam die Treppe hinabgehüpft, als ich mich, auf Karl und Mona gestützt, aus dem Auto kippen lieÃ, wie ein Spätheimkehrer von der Ostfront. Die Gesichtsfarbe spielte ins Mehlig-Mozzarellahafte. Ich wollte Roland ein paar Souveränitäten entgegenschleudern, aber es kam nur trockenes Grunzen. »Achim war super«, sagte Mona vorsorglich. Zum ersten und einzigen Mal in seinem verpfuschten Leben kapierte Roland, dass er einfach nur die Schnauze halten sollte.
Seitdem liege ich im Bett. Wo früher Beine waren, herrscht Ziehen und Brennen und Wringen. Beinpein und Blase stehen in stetem Kampf. Erst wenn der Wasserdruck die Stärke 17 auf der Niagara-Skala erreicht hatte, schleppe ich mich Richtung Keramik. Sitzen geht nicht. Die Schilderung weiterer Details würde die Menschenwürde verletzen.
Marathon macht stur und blöd und krank, an Bein und Birne. Monatelang hatte ich nur diesem Sonntagmorgen entgegengelebt.
Am Morgen hatte ich es sogar mit »Mikroklist«, der Wunderwaffe gegen überfüllte Eingeweide, versucht. Kein Busch war fortan klein genug, als dass ich mich auf dem Weg zum Start nicht hineingeschlagen hätte. Es half nichts. Das Adrenalin krempelte meinen Magen um.
Ich fühlte mich wie eine Backpflaume, als ich über die Absperrung in den Startblock HLV C kletterte. Um mich herum roch es nach Hering. Ich war in den Betriebsausflug eines dänischen Altersheims geraten. »Hej«, sagten alle mit provozierendem Grinsen und hüpften wie die tanzenden Bohnen in der Muppet-Show. Wahrscheinlich kommen Dänen zum Laufen nach Hamburg, weil ihr Zwergstaat zu kurz ist für einen Marathon. »Wir wollen 4:15 Stunden laufen«, verkündete ein drahtiger Mittsiebziger. »Wenn duâs noch erlebst, Opa«, dachte ich und nickte völkerverständigend. Der Startschuss war schon vor Ewigkeiten ertönt, aber die Scheintoten aus Block HLV C durften erst 15 Minuten später auf die Strecke.
Endlich kamen die Heringe auf Trab. Wildes Piepen der Zeitnahmematte. Kein Zurück mehr. Eine Weile blieb ich bei den Dänen. Sechs Minuten den Kilometer, das erschien meiner Form angemessen. Am Anfang zu schnell, vorm Ende tot, lautete die Regel. Aber der Däne erwies sich bald als ultrapatriotische Nervensäge. Wo immer sie etwas RotweiÃes entdeckten, blieben sie stehen, rissen die Arme in die Höhe und brüllten etwas, das klang wie »Pölser-Olé«: vor Stoppschildern, Vodafone-Reklamen, Rotkreuzwagen und Pommesschalen.
Mit dem stillen Selbstbewusstsein, das den Vertreter der papststellenden Nation ziert, zog ich bei Kilometer 16 davon, auf dem Jungfernstieg, vor begeistertem Publikum. Auf der langen Geraden zum Flughafen hatte ich den 4-Stunden-Tempoläufer entdeckt, einen guten Kilometer vor mir. Da musste ich ran.
Bis Kilometer 32 lief alles ordentlich, auch wenn ich zu langsam war. Die Dänen hatten mich eingelullt. Plötzlich merkte ich, wie ich immer häufiger auf die Uhr blickte, einfach so, als ob da Rettung
sei zwischen den digitalen Zahlen. Aber die Ziffern sagten mir nichts. Im Kopf war kein Blut mehr. Alles leer, dumpf, Kartoffel.
Dann plötzlich der Filmriss. Ich kann mich an nichts erinnern auÃer an ein »Aua« bei jedem Schritt. Beine wie T-Träger, laufende Dampframme. Butter im Knie. Meine auf sexy geschnittene Hochleistungshose hatte mir eine Fleischwunde in beide Oberschenkel geraspelt. Was mal eine Zunge
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