Achilles' Verse - mein Leben als Laeufer
bekommen«, schreibt ein gewisser Herr Greif. Interessant. Manchmal macht er mich auf Probleme aufmerksam, die bislang nie welche für mich waren. Für die nächsten Ãbungen brauche ich einen Hocker, einen Tisch und eine Treppenstufe. Wo zum Teufel soll man im Schlafzimmer eine Treppenstufe herbekommen? Oder soll ich mich im Hausflur zum Affen machen?
Mona ruft Karl zum Abendessen. Ich habe mich bereits abgemeldet. Sie werden sich daran gewöhnen müssen, abends ohne mich zu essen. Nur ein leichter Läufer kann seine Schnelligkeit voll ausspielen.
Ich gönne mir jetzt eine Kapsel Apfelessigextrakt aus dem Versandhandel. Das sorgt für einen schnelleren Abtransport der Stoffwechselprodukte, die bei hartem Training entstehen. Vielleicht gönne ich mir noch etwas Ackerschachtelhalm-Extrakt von Dr. Feil. Wofür der gut ist, weià ich nicht mehr. Aber das Zeug ist teuer. Also muss es gut sein. So wie auf Fitline®Aktivize®Oxyplus, für 28 Euro die Dose, oder besser: das Döschen. Es sind nur 175 Gramm drin. Aber die haben es in sich.
Bei einer Mindesteinnahmezeit von 14 Tagen erhöht sich die maximale Sauerstoff-Kapazität um durchschnittlich 10 Prozent, das wurde an einer Studie mit 20 Athleten nachgewiesen. Seit einer Woche rühre ich das rote Pulver jeden Morgen und jeden Abend in ein Glas Wasser. Es schmeckt ein bisschen nach Seveso. Aber meine Kapillaren fühlen sich schon viel kräftiger an. Ich habe die Dose im Schrank hinter dem Zwieback versteckt. Mona muss ja nicht alles wissen.
Am Wochenende auf der Runde um den Schlachtensee werde ich explodieren. Es ist die Hoffnung, die mich am Leben hält. Ich habe schrecklichen Hunger. Aber Hoffnung ist ja das Brot des Läufers. Und da habe ich noch reichlich Vorräte.
Wir zeigenâs Dehnen
Es gibt Dinge, die sollte man tun, weil sie vernünftig sind: Zahnseide benutzen, zum Beispiel. Aber es ist lästig, ungewohnt, zeitraubend. Ãhnlich verhält es sich mit der Gymnastik für Läufer, gleichgültig ob Stretching oder Stabilisationsübungen. Beweglichkeit bedeutet mehr Stabilität und weniger Verletzungen, sagt zum Beispiel Dr. Matthias Marquardt, der Arzt, dem Läufer vertrauen. Wer tatsächlich Dehndisziplin genug aufbringt, sollte darauf achten, dass die Bewegungen langsam ausgeführt werden, technisch korrekt, ohne Wippen und nur bis zum leichten Ziehen.
Was wehtut, könnte schon eine Zerrung sein. Es bietet sich an, eine Reihenfolge von oben nach unten oder umgekehrt zu wählen. Richtige Atmung versteht sich von selbst. Neben der zwei, drei Standardübungen, die auf jeden Waldparkplatz vorgeführt werden, gibt es eine Reihe weitere, zum Beispiel bei Matthias Marquardt: Die Lauf-Bibel.
Laufen macht einsam. Es sei denn, man rennt in Gesellschaft. Aber wer will das schon? Als ehrgeiziger Sportler läuft man nicht mit-, sondern gegeneinander. Manches Duell wird heutzutage nicht mehr mit der Pistole entschieden, sondern durch Laktat und Lungenvolumen.
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Auf den geplanten Testkilometer im Maximaltempo verzichte ich vorsichtshalber. Nicht gleich an die Grenzen gehen. Das bringt nichts. Erstmal wieder reinkommen. Die frische Luft genieÃen. Die Geräusche. Die Ohren laufen ja mit. Wer sich mit Ohrstöpseln oder albernen Techno-Kopfhörern akustisch abschirmt, dem entgeht das Allerschönste. Nein, nicht das nervtötende Tirili des Rotkehlchens oder das stumpfe Hämmern vom Specht. Da kann man besser Schubert hören. Ein Fest für die Ohren sind die Schritte, die sich von hinten nähern oder das Stampfen da vorn hinter der Kurve. Wir Läufer sind Jäger und Gejagte. Bin ich schneller, werde ich gehasst und verachte ihn. Ist er schneller, verachtet er mich, und ich hasse ihn. Am Schlachtensee gibt es keine Sportsfreunde.
Man muss den Feind schon an seinen Schritten erkennen, denn man sieht ihn ja nicht. Egal, ob ich überhole oder überholt werde, immer erblickt man ihn nur von hinten: den ausladenden Hintern, die schlaffen Waden, die hässlichen Klamotten, alte
SchweiÃränder. Die goldene Regel des Laufsports heiÃt: Dreh dich nicht um! Wer sich umdreht, der hat Angst, der ist unsicher, der hat schon verloren.
Also horchen. Mit den FuÃsohlen erspüren, dieses leichte Vibrieren, das der leichtfüÃige Hintermann auf den Waldboden tupft. Er muss ja leichtfüÃig sein, leichtfüÃiger als ich jedenfalls, sonst würde er mich
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