Achilles Verse
Brechmänner, die mit 40 Jahren immer noch so tun, als seien sie testosterongeladene Jungbullen.
Am Anfang habe ich versucht, sie mit einem höhnischen Grinsen zu verunsichern. Sie wussten genau, was ich meine: Ja, ich lache über euch, eure albernen Stöckchen, die peinlich-bunten Karnevalsklamotten, eure klumpfüßigen Schuhe, aber vor allem verachte
ich euch für eure gigantischen Trinkfässer, die ihr umgeschnallt habt: 200 Kalorien pro Stunde vernichten, aber 500 zu sich nehmen – so verliert man kein Gramm, sondern päppelt unterernährte Säuglinge auf, liebe Walktonnen.
Jetzt mal unter uns und ehrlich: Ihr seid doch nur Walker geworden, weil ihr zu schlapp seid zum richtigen Laufen. Walking verhält sich zu Sport wie Peepshow zu echtem Treiben. Ihr tut nur so, alles gespielt.
Liebe Walker, lasst euch doch nicht von der Sportartikel-Industrie veräppeln, die euch für teuer Geld irgendwelchen Spezialkram verkaufen will: 120 Euro für Schuhe, 150 für die Stöcke, noch mal 100 für Hemd und Hose, 20 für den Trinkflaschenhaltergurt, und mindestens 30 für die Dose Pulver, aus der ihr euer isotonisches Spurenelementgetränk anrührt, ohne das ihr eure übermenschlichen Belastungen nie durchstehen würdet.
Früher hieß das mal Spazierengehen, was ihr da macht. Mit einem Paar »Mephisto« und einer Windjacke wart ihr für zehn Jahre bestens ausgerüstet. Niemand hat Stöcke hinter sich hergeschleift. Ihr hattet einen kleinen Rucksack dabei, darin eine Wanderkarte und ein Äpfelchen. Die Männer hatten das Taschenmesser, die Frauen Labello und Hustenbonbons. In der Jackentasche hieltet ihr immer ein Päckchen Papiertaschentücher bereit. Jetzt seid ihr zu Walkern mutiert und unerträglich.
Neulich wollte ich wieder so eine Gruppe überholen. Als ich auf zehn Metern heran war, habe ich beschleunigt wie der Michi am Ende der Schikane. Sie sollten den Staub schmecken, den ich mit meinen kraftvollen Schritten aufwirbeln würde. Doch kaum hatte ich den Turbo gezündet, fuhr ein stechender Schmerz durch mein linkes Bein, so, als hätte mir jemand ein Starkstromkabel ins Knie gerammt. Ich machte »Hrrmmpf«, beugte mich vor und begann zu humpeln.
Die Walker drehten sich um. Ungerührte Blicke. »Alles in Ordnung«, quetschte ich ungefragt hervor. Trottet doch weiter, ihr Idioten, dachte ich. Taten sie auch. Das Schrappen ihrer Stöckchen
verhallte. Ich schleppte mich zum Parkplatz. Weil jeder Tritt auf die Kupplung höllisch schmerzte, fuhr ich im zweiten Gang nach Hause. Mona schüttelte nur den Kopf. Mein Stöhnen nachts ertrug sie nicht. Sie zog aufs Sofa. Der Orthopäde am nächsten Morgen fühlte und röntgte und murmelte irgendetwas von »Patellasehne«. Er befahl vier Wochen Laufpause, mindestens. Zum Abschied fragte er: »Haben Sie’s in ihrem Alter mal mit Walken versucht?«
Geht’s noch?
Walking, das ist die größte Breitensport-Bewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs, und nichts anderes als Spazierengehen in bunten, teuren und wahnsinnig professionell aussehenden Klamotten. So ist allen gedient: Menschen, die sich vorher nie bewegten, haben einen niedrigschwelligen Einstieg, Kranke und Übergewichtige eine sanfte Bewegung, die Sportartikel-industrie einen geldwerten Hype und die Läufer was zu lachen. Tatsache ist: Walking wurde als Marketing-Gag erfunden, um Skistöcke auch im Sommer abzusetzen.
Ernsthaftes Nordic Walking wird in deutschen Grünanlagen dagegen fast nie zur Aufführung gebracht. Diese schweißtreibende Betätigung wurde in Norwegen erfunden, um Skilangläufer im Sommer zu piesacken. Mit ausholendem Stockeinsatz vollführen echte Nordic Walker meterweite Sätze.
Die Vulgärwalker dagegen trotten durch den Tann, ziehen mit ihren schleifenden Stöcken Schlangenlinien in den Waldboden und blockieren die Wege, weil sie nie einzeln, sondern stets im Rudel auftauchen. Eine friedliche Co-Existenz zwischen Walkern und Sportlern ist kaum vorstellbar.
Lesen Sie dazu auch Achims welt- und wegweisende Gedanken im »Walker-Hasser-Manifest«.
Es ist gut zu wissen, dass es Menschen gibt, die Verständnis haben, die sich um andere sorgen, die immer da sind, wenn es wichtig ist. Kurz: Es ist gut, dass es Dauerläufer gibt. Sie sind so einfühlsam.
Neulich war Klassentreffen. 20 Jahre ist das Abitur jetzt her, am humanistischen Schiller-Gymnasium zu Münster. Wie grausam. Das letzte Mal haben wir uns vor zehn Jahren gesehen. Schrecklich, was aus all diesen optimistischen, kraftstrotzenden,
Weitere Kostenlose Bücher