Achilles Verse
gut aussehenden jungen Menschen geworden ist. Hauptsache, Katharina hat sich nicht verändert. Katharina war schon immer ein Feger – und natürlich immer hinter mir her.
»Ich komme mit zu deinem Klassentreffen«, sagte Mona eines Morgens. Jetzt keinen Fehler machen, Achilles! »Okay, kein Problem«, sagte ich, »meine alten Klassenkameraden werden nichts dagegen haben, dass ich als Einziger mit Bodyguard erscheine.« Mona schwieg. Sie dachte darüber nach, wie es wohl sein würde, in einer Herde entfesselter, Bier pumpender Hooligans zu stehen, die sich ausschließlich in Guttural-Lauten über Dinge verständigten, über die niemand anders brüllend lachen konnte, um sich morgens um vier unter Tränen in den Armen zu liegen und ewige Liebe zu schwören.
Als ich am Samstagabend die Stufen zum katholischen Jugendheim
St. Joseph patellabedingt hinaufhumpelte – der stille Siewert aus dem Deutsch-Leistungskurs war dort inzwischen Pfarrer geworden –, fielen mir als Erstes drei unglaublich breite Hinterteile auf: Kleemann, Schmadtke und Kullner. Vor einem knappen Vierteljahrhundert waren sie die Zierde unseres Doppelvierers, der bei »Jugend trainiert für Olympia« angetreten war. Daneben Köster, locker 120 Kilogramm, damals leichtfüßiger Kapitän der Fußballschulmannschaft.
»Mann, Achim«, presste Heike, die ehemalige Volleyballerin, zwischen ihren feisten Hamsterbacken hervor, »du siehst aber gut aus.« Ich hatte lange überlegt, ob ich das »Born to run«-Sweatshirt wirklich anziehen sollte. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Es betonte meinen flachen Bauch, die starken Schultern, die zierlichen Hüften. Das leichte Humpeln wegen der dämlichen Patellasehne erwies sich als imageförderndes Handicap.
Im Laufe des Abends absolvierte ich wohl 200-mal den gleichen Dialog: »Wie schaffst du das, so schlank zu bleiben?«, fragten die alten Schulkameraden. Und ich antwortete immer lässig: »Ich laufe ganz gern.« Sie wollten alles wissen: Wie oft? Wie lange? Wie angefangen? Ziele? »Marathon«, sagte ich, betont beiläufig. »Und hin und wieder Triathlon.« »Marathon«, erwiderten sie dann leise, »Triathlon«, wisperten sie ehrfürchtig. Es war das Klassentreffen meines Lebens. Schade, dass Mona nicht dabei war.
Drei Tage später kam eine Mail, von Katharina. Sie hatte das Klassentreffen in stiller Bewunderung in meiner Nähe verbracht. Es reichte ihr offenbar, einfach nur meinen Duft in der Nase zu tragen, den Duft ungezähmten männlichen Leistungsvermögens. Sie hatte in alten Westfalen-Adel eingeheiratet, was Versorgungssicherheit, aber eben auch lebenslängliche Langeweile bedeutete. »Ich brauche deine Hilfe, lieber Achim«, schrieb sie, »ich will jetzt auch anfangen zu laufen.«
Sie wollte alles wissen: Welche Schuhe, welche Strecke, welches Tempo, welcher Puls? Wir telefonierten ausgiebig. Katharina hatte diesen wunderbar weiblichen Tonfall, in dem sich Respekt,
Neugier und haltlose Bewunderung mischten. »Was«, fragte sie ungläubig, »du bist heute 15 Kilometer gelaufen? Das würde ich nie im Leben schaffen.« Mona hatte so was noch nie zu mir gesagt. Ich räusperte mich. »Das ist doch gar kein Problem. Reine Übungssache. Das schaffst du auch, verspreche ich dir. Wir können auch gern mal zusammen laufen.«
Meine Stimme klang warm, sonor, souverän, ungefähr so als ob Clint Eastwood »Baby« sagt. »Ach, Achim«, flüsterte Katharina, »es tut so gut, mit dir über das Laufen zu reden.« Als sie zum dritten Mal bei uns angerufen hatte, hielt es Mona nicht mehr. »Was will die Schlampe von dir?«, brüllte sie. Ich entgegnete ruhig: »Sie interessiert sich für meinen Sport. Wir führen Fachgespräche.« Mona schwieg. Es ist ein gutes Gefühl, als kompetenter, gleichwohl warmherziger Ratgeber gefragt zu sein.
Marathonis sind bessere Menschen
Wirtschaftsbosse tun es, Politiker tun es, Prominente tun es auch: Marathon, ultimativer Nachweis von Leistungskraft und Willen in unserer Turbo-Gesellschaft. Ist es von Vorteil für Beruf und Karriere, wenn man sich als Marathon-Freak outet? Der SPIEGEL hat nachgefragt. Ergebnis: Kann man so nicht sagen. Zwar gelten Langläufer grundsätzlich als leistungsbereit, zielstrebig und ausdauernd. Andererseits werden die Dauertraber schnell als einsame Wölfe angesehen, egomanisch und verbissen. Die beste Formel fand der Kölner Personalberater Ulrich Schuhmann: »Wer unter drei Stunden braucht, ist ein Eigenbrötler, wer um die vier Stunden braucht,
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