Achilles Verse
der Kerl verständnisvoll. »Kenn ick. Ich hab letztes Jahr Leggings jekriegt, in mintgrün. Aber dieses Jahr« – er tippte auf sein Handgelenk – »dieses Jahr gab’s die hier.« Unter seinem Ärmel blitzte eine nagelneue S625x. »Wie haben Sie Ihre Frau dazu gebracht?«, wollte ich wissen. »Gaa nich«, sagte er fröhlich, »ick hab mir scheiden lassen. Und die Uhr dann selbst jekooft.« Ich drehte mich um zu Mona und winkte.
Gepäckmarsch
Laufen ist nicht nur mehr oder minder zügiges Fortbewegen auf zwei Beinen, sondern kann Universen bedeuten. Zum Beispiel ist Laufen eine Materialschlacht. Manche Sportsfreunde treten selbst zur lästigen Regenerationsrunde an wie ein Sondereinsatzkommando. Es sind aber nicht immer die Besten, die mit pfundschweren Uhren, Handy, MP3-Player, Navigationssystem, Trinkgurt, Kopflampe und weiteren vier, fünf Kilogramm Gerümpel durch die Gegend wetzen. Im Gegenteil: Den Profi erkennt man an der spartanischen Ausrüstung. Er verlässt sich auf seine Beine und scheut jedes Gramm überflüssigen Gewichts. Eine läuferische Grundregel lautet daher: Je länger, je schneller, je ambitionierter, desto weniger Klimbim. Und umgekehrt.
Der menschliche Körper verhält sich zuweilen unmenschlich. Er bunkert das Fett, klammert sich daran wie ein Ertrinkender an den Rettungsring. Nur eines hilft wirklich: lange Läufe, mindestens zwei Stunden. Also rein in die Sportschuhe, ran an den Feind am eigenen Leib. Speck muss weg.
Das Schlimmste an den guten Vorsätzen für das neue Jahr ist, dass man nur verlieren kann. Hält man sich dran, ist man ein Spießer, wenn nicht, wird man als Weichei verspottet. Die Kunst besteht also darin, sich Vorsätze zu suchen, die so aussehen, aber gar keine sind, weil man ohnehin nicht drumrum gekommen wäre. Lange Läufe sind leider auch die idealen Scheinvorsätze. Lange Läufe sind die Pest: Sie tun weh, sie dauern, sie sind langweilig, demütigend, eklig. Lange Läufe heißen lange Läufe, weil ihr einziger Sinn darin besteht, lange zu laufen. Und man kommt nicht drumrum.
Ich bin morgens um halb sieben losgetuckert, Richtung Volkspark. Habe alle drei Minuten auf die Uhr geguckt. Habe den Volkspark Lichtjahre hinter mir gelassen. Habe darauf geachtet, dass ich meinen Puls auf gar keinen Fall über 128 Schläge jage. Jetzt sind 83 Minuten vergangen. Ich langweile mich zu Tode. Ich hasse die Villen im Grunewald. Und es ist noch nicht mal die Hälfte. Nicht ein, nicht zwei, nein, drei Stunden soll man wetzen,
sagen alle Laufpäpste, 30 Kilometer mindestens, besser noch mehr. Quäl-Coach Peter Greif befiehlt sogar 35 Kilometer, die letzten davon volle Pulle. Wirklich, sehr witzig: Wie soll man auf dem Zahnfleisch sprinten?
Lange Läufe sind durch keine Tricks zu ersetzen. Wer einen Marathon überleben will, entkommt ihnen nicht. Denn nur auf langen und langsamen Läufen lernt der Körper, sein Fett zu verbrennen. F-e-t-t v-e-r-b-r-e-n-n-e-n – klingt total sexy, oder? Man läuft durch die Gegend und der Glibber schmurgelt einfach davon: Weg mit dir, böses Schwabbelfett! Brennen sollst du, Hexenschmalz! Fettverbrennung. Wer dieses Wort erfunden hat, der ist ein begnadeter Demagoge. Es klingt so scharf wie »Teufelsaustreibung«. Wer wollte das nicht – Fett verbrennen?
Bei mir ist es gleich so weit. Eine halbe Stunde noch. Dann brennt’s. Der Körper hat ja zwei große Energietanks. Im ersten ist Glykogen gebunkert, reine Kohlehydrate, Nudeln, Brot und Reis also, wovon sich aber nicht viel speichern lässt. Nach zwei Stunden ist auch der letzte Krümel davon verbrannt. Praktisch unbegrenzt viel Energie ist im Tank zwei gespeichert, an Hüften, Schenkeln und besonders viel über dem Sixpack.
Doch Fett ist wie Sonne: Theoretisch bietet sie wahnsinnig viel Energie, praktisch aber nie dann, wenn man sie braucht. Der Körper will sein Fett nicht hergeben. Er hat über Jahrmillionen gelernt, überschüssige Kalorien zu speichern, als Reserve für lange kalte Winter. Er klammert sich an sein schönes warmes Fett. Also muss man den Körper einlullen, ihn gefügig machen, ihm den Eindruck geben, es kämen große Anstrengungen auf ihn zu. Ab zwei Stunden Langsamlaufen, da macht er sein Fett locker. Läuft man zu schnell, dann dreht er den Fetthahn zu. Und der Läufer bleibt stehen. Oder fällt gleich hin. Er ist auf jeden Fall am Ende.
Ich bin jetzt 110 Minuten unterwegs. Vor 20 Minuten bin ich umgedreht, am Parkplatz Großer Stern. Noch eine Viertelstunde, dann
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