Achilles Verse
aus Florida mit und bietet Trainingslager an. Man müsste ihn verachten für seine gutgelaunte Sonnen-Tour. Allerdings hat er ein super Argument: Florida ist walker-frei. Seit drei Jahren sind keine Stöckchenzieher mehr gesichtet worden. Wahrscheinlich alle überfahren worden, weil sie zu langsam die Straße überquert haben.
Siggi kommt aus Saarbrücken (als ob das irgendwen interessiert) und kocht sich ekligen Brei aus Möhren und Kartoffeln mit Tomaten-Champignon-Sauce, weil die Laufgräte Steffny sagt, dass das richtig Kraft in die Schenkel gibt. Siggi sagt, Herbert Steffny sagt, man solle sein berufliches und privates Umfeld optimieren. Die Möhren-Kartoffel-Pampe ist wohl Teil der Optimierungsstrategie: Mit solchen Gerichten lebst du nämlich bald allein, Siggi. Dann hast du noch mehr Zeit fürs Laufen.
Siggi hat überhaupt keine Ausreden. Das macht ihn sympathisch. So wie Dieter. Der ist 64, klingt aber trotzdem ganz nett. Er war Stadionsprecher bei den Deutschen Meisterschaften über 100 Kilometer. Achtung, jetzt kommt’s: auf der Bahn. Höhö, 100 Kilometer im Stadion, das sind 250 stumpfe Runden. Früher nannte
man das Hospitalismus und hat die Leute in die Geschlossene gesperrt. Dieter wollte den Läufern was Gutes tun und hat bei Kilometer 50 gesagt: »Ab jetzt geht es nur noch bergab.« Damit war seine Sprecherkarriere zu Ende. Teufel auch, was bin ich ein verdammter Normalo gegen solche Lauf-Stalinisten.
Immerhin: Ein paar Patella-Patienten waren auch da. Udo empfiehlt so ein Bändchen, das man sich unters Knie schnallt. Drauf steht »Mueller«. Das Teil ist ein Knaller. Es hilft tatsächlich. Ich kaufe Mueller-Aktien, und dann kreuze ich beim nächsten Volkslauf mit dem Band unterm Knie auf. Alle glauben, das ist eine Art Epo, kaufen sich gleich ein Dutzend Mueller-Bänder und schnallen sich die auch noch um Knöchel und Ellenbogen. Und ich werde reich.
Normale Läufer? Fehlanzeige.
Wer sich und sein Laufen jemals für absonderlich hielt, wird im Internet eines Besseren belehrt. Hier werden echte Probleme und eingebildete Krankheiten debattiert. Die Vielfalt an Ausreden, warum man das Training schwänzen muss, ist beachtlich. Da ist immer was für den Hausgebrauch dabei. Anfänger sollten jedoch Vorsicht walten lassen. Nicht jeder selbsternannte Experte versteht wirklich etwas vom Ausdauersport, manche wollen zweifelhafte Nahrungsergänzungsmittel verscheuern oder halbgare Trainingspläne. Erfahrungsberichte in Laufforen können als erste Orientierung dienen, manchmal finden sich tatsächlich günstige Klamotten. Aber das persönliche Gespräch mit kompetenten Verkäufern oder einem engagierten Trainer ist durch die Online-Coachs nicht zu ersetzen.
Beim Sport gibt es eine eiserne Regel. Je größer der Trottel, desto schärfer die Ausrüstung. Aber manchmal brauchen auch Haudegen eine Dosis Hightech. Achim goes shopping.
Seit ein paar Tagen ist Sibirien hier, Temperaturen dauerhaft weit unter dem Gefrierpunkt. Das ist lebensgefährlich in einer Stadt wie Berlin, die so pleite ist, dass der Regierende Bürgermeister schon über die Partys ziehen muss, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Nirgendwo wird gestreut, schon gar nicht in den Parks. Zwei Grundwerte des Läufers stehen in einem unauflösbaren Konflikt: Zum einen »Ich muss trainieren«, zum anderen »Ich darf mich nicht verletzen«.
Neulich – Mona war bei der Feng-Shui-Beratung und konnte mich nicht kontrollieren –, habe ich mittags heimlich das Büro verlassen, um mich zu meinem Dealer zu schleichen. Er heißt Sven und arbeitet im Ausdauertempel. Ich brauchte wieder eine Dosis. Diesmal hatte ich sogar einen Grund: Es war kalt und glatt. Und ich war schlecht ausgerüstet. Ich brauchte ein paar Spikes, die man sich unter die Laufschuhe schnallen kann – für sicheren Halt auf eisigen Wegen. Kostenpunkt: 16,90 Euro. Sven ist ein Tier, Schultern wie King Kong, Taille wie Mona. Zu allen Jahreszeiten trägt er ganz zufällig Klamotten, die den Blick auf Bein oder Arm frei geben. Sehnen lügen nicht. Vergangenes
Jahr hat er die Ironman-Qualifikation in Frankfurt um zwölf Minuten verpasst. Sven ist Veganer, trainiert mindestens fünf Stunden am Tag und gehört dennoch zu der Sorte Verkäufer, die einem nicht gleich das Gefühl geben, eine lahme Wurst zu sein. Er tut so, als nehme er meine Probleme ernst; wir sprechen von Profi zu Profi, in knappen, ehrlichen Sätzen. Wahrscheinlich lacht er sich tot über mich. Aber fairerweise wartet
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