Achilles Verse
alle paar Minuten mit den Zähnen so einen Beutel auf und drückt sich die Klebe in den Mund: Kohlehydrate, viele, kleine, Magenschleimhaut und Darmzotten verleimende Moleküle. Von wegen Fettverbrennung. Triathlon ist Gel-Verbrennung. Im tiefen Tal der Beutelratten.
Zum Glück ist die Schwimmstrecke von 1500 auf 900 Meter verkürzt. Zu kalt. Schön für Jörg: Da kotzt er 100 Meter weniger. Schön auch für mich: Mit meiner ausgefeilten Brust-Kraul-Technik könnte ich unter einer halben Stunde bleiben. Am Start halte ich meine Einzelkämpfermentalität im Zaum. Sollen sich doch die anderen die Hacken in die Weichteile bohren. Ich mache auf Tante Frieda im Hallenbad. Bei Regen und Kälte geht nichts über Schwimmen. Im Neo ist es weniger nass und kalt als draußen.
Die Passage unter der Stadthausbrücke ist ekelerregend. Im Backstein voll geschissene Taubenlöcher und im Wasser ausgelutschte Gel-Beutel vom vergangenen Jahr. Vom Ausstieg bis zum Rad ist es ein knapper Kilometer. Es regnet. Meine uralte Karre ist nicht zu übersehen zwischen all den tiefergelegten Kohlefaserteilen mit Scheibenrad. Trotzdem zwei Erfolgserlebnisse: Ich bin nicht der Letzte, und ich lege mich beim Neoauspellen nicht auf die Fresse. Ärgerlich: Die Socken wollen nicht über die nassen Füße. Mein Kopf ist auch aufgequollen: Der Helm passt nicht mehr. Dafür klemmt der Radschuhverschluss. Die Radhose hängt auf halb sieben. Am Zaun grienen gottverdammte Spanner, delektieren sich am alstergekühlten Schrumpfgemächt. Der Typ neben mir quetscht sich zwei Beutel mit Vanille-Aroma ins Gesicht und saust barfuß los. Kann ich auch. Hart, härter, Achim.
Radfahren bei Regen ist eine überflüssige Angelegenheit. Der Vordermann walzt mir einen steten Strom Wasser ins Gesicht. Es schmeckt süßlich. Hoher Gel-Anteil. Klaus Heinrich hatte mir auch zwei Beutel zugesteckt. »Italienische Ware«, hatte er verschwörerisch geraunt, so, als ob es etwas Illegales wäre: »Knallt super.« Den ersten Beutel habe ich mit den Zähnen nicht aufgekriegt. Drücken war keine gute Idee. Es knallte tatsächlich. Flatsch, hing mir der Kleister im Gesicht. Mit der Zunge habe ich aber noch eine Menge erwischt.
40 Kilometer sind eine elend lange Strecke. Schon nach der Hälfte hatte ich keine Lust mehr. Der Gedanke ans Laufen brachte mich um. Mein Körper gierte nach Kohlehydraten. Ich machte
mich über den zweiten Beutel her und lutschte auch noch die Farbe von der Alupackung.
Wieder Wechsel. Bücken zum Schuheschnüren. Knie wollen nicht biegen. Füße fühlen sich tot an. Schmerz überall. Zehn Kilometer Martyrium, das war klar. Jeder Schritt wie in Betonpuschen. Wo ist der Gel-Automat? Ich will neue Oberschenkel. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Nur an Monas Gesicht bei Kilometer acht. Meine Elendsgestalt hätte ihr peinlich sein müssen, aber sie brüllte: »Super, Achim!« Wunderbare Frau. Sie war mit einer Freundin frühstücken gewesen. Ich sah große Croissants vor mir fliegen, mit Marmelade. Schüsseln mit Mohn-Marzipan-Joghurt.
Ich taumele durch die Hamburger Innenstadt. Das Toben der Millionen weist mir den Weg. Ich kann nicht mehr. Ich schwebe. Ich will nicht mehr. Ich könnte noch Stunden. Ich laufe und laufe. Ziel, Ziel, wo ist das Ziel? Ein gelbes Band würgt mich. Eine Hilfskraft hat mir eine Medaille umgehängt. »Ist ja gut«, sagt sie, »Sie haben es geschafft.«
Alles voller Klebe
Die Verpflegung auf der Strecke ist ein Lieblingsthema des Ausdauersportlers. Während der Marathon-Läufer Frau, Kinder und Verwandte nach einem ausgeklügelten System alle 7 Kilometer am Straßenrand postiert, wo sie mit verklebten Flaschen warten, in denen nach geheimnisvollen Rezepturen angemischte Powerdrinks schwappen, neigt der Triathlet zur Selbstversorgung. In der Flasche am Rad ist Flüssiges, auf Rahmen oder Lenker hat der Sportler gern Teile von Energieriegeln geklebt, die ohne Verpackung so aussehen, als habe Lassie was liegen gelassen. Sicherheitshalber hat der Triathlet auch noch ein paar Beutel Power-Gel im Renntrikot und in der Wechselzone gebunkert. Die Kalorienbilanz dürfte am Ende des Wettbewerbs bestenfalls ausgeglichen sein.
Es ist völlig egal, welche Zeit man für einen Triathlon benötigt. Entscheidend ist, dass man einen Wettbewerb durchgestanden hat. Ein solcher Athlet schießt nämlich in der gesellschaftlichen Rangordnung auf eine Spitzenposition.
Über die Länge von T-Shirt-Ärmeln kann man wundervolle Ehekräche
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