Acht Augen sehen mehr als vier
genau deswegen hat sie dir ja diese SMS geschickt, nur aus Versehen an deine alte Handynummer. Hast du es Emily noch nicht erzählt, Mil?“
Und der will Detektiv sein? Krass, der Junge! Ich quäl mich damit rum, ob ich’s Emily sagen soll oder nicht, und er verrät es einfach.
„Ich wollte nicht …“, stottere ich, während wir losstrampeln. „… also ich hab dir nichts von der SMS gesagt …“ Die Worte scheinen mir im Hals stecken zu bleiben. „… damit du dich nicht über Laura ärgerst.“
„Was ist mit der SMS ?“ Sie bremst und hält so plötzlich an, dass ich fast in sie hineinfahre. „Wo ist diese miese Botschaft? Zeig sie mir schon, Mil! Sie ist schließlich für mich gedacht.“ Mit der rechten Hand fasst sie meinen Arm und drückt ihre Fingernägel in mein Handgelenk, dass es wehtut. Noch nie habe ich Emily so zornig erlebt.
„Ich zeig sie dir. Aber nicht hier mitten auf dem Gehweg“, grummle ich. Wir haben die Fußgängerzone zwar hinter uns gelassen, aber auf dem Weg zum Waldgebiet wimmelt es von Familien, die mit ihren Kleinkindern zum Spielplatz unterwegs sind. Wir brauchen einen ruhigen Ort, an dem wir ungestört miteinander sprechen können. Einen Ort, an dem sich Emily beruhigt. Falls das überhaupt geht. Bei Finn zu Hause wuseln seine Geschwister herum, Emilys Eltern haben Besuch, Lauras Gartenhaus ist jetzt plötzlich feindliches Gelände.
Meine Eltern sind am See. Ich habe sturmfrei. Aber mit Emily zu mir nach Hause? Nö, das trau ich mich nicht. Unsere poplige Wohnung im Block ist nicht so vergammelt wie das alte Teil, in dem Wolli lebt. Der Bauverein hat die Gebäude erst im Frühjahr von außen in frischen Farben streichen lassen und die Treppenhäuser auch. Orange und Vanille und Waldmeistergrün, fast wie Eiskugeln. Nur dass es wochenlang krass nach Farbe roch. Aber mit Emilys Penthaus kann unser Sechsfamilienblock nicht mithalten.
„Zum Fluss runter?“ Finns Vorschlag.
„Da wimmelt’s jetzt erst recht, da radeln doch ganze Scharen“, sage ich. Wir leben in einem Vorort, der mal ein eigenes Dorf war, aber längst zur Stadt gehört und zugebaut ist. Als wir weiterfahren, fällt mir was ein. „Unsre alte Schule! Da ist am Sonntag bestimmt keiner.“
„Jau, dann ab zur Waldschule und einen Plan schmieden!“ Finn tritt in die Pedale.
Unsere alte Grundschule ist vom Villenviertel aus genauso gut zu erreichen, wie von den Mehrfamilienhäusern, in denen Finn und ich wohnen. Sonst wären wir ja nicht vier Jahre lang in einer Klasse gewesen.
„Okay!“ Wie Emily das sagt, klingt es nach Kampfansage. Klar, sie ist geladen und brennt darauf, Lauras SMS zu lesen.
Im Stadtwald wandern zwar auch haufenweise Leute herum. Doch der Schulhof ist leer. Das Tor vorn ist geschlossen, aber Finn und ich kennen die Schlupflöcher. Komisches Gefühl nach zwei Jahren über das hintere Gittertor zu klettern und an den Müllcontainern vorbei in den verlassenen Pausenhof zu steigen. Ich hebe Emily über das niedrige Tor. Mit einem Satz springe ich hinterher.
Finn hat sich schon unterm Pavillon breitgemacht.
Ich schalte das Handy ein und suche die SMS .
Warum habe ich Megatrottel sie nicht schnell gelöscht und behauptet, es wäre aus Versehen passiert? Dann wäre Emily jetzt nicht so sauer auf Laura und die beiden hätten sich nicht zerstritten. Finn und ich hatten ja mitgekriegt, wie sie sich am Telefon angezickt haben. Ich wusste, dass Emily Lauras SMS persönlich nehmen würde. Und Laura muss vorhin etwas ganz Mieses zu Emily gesagt haben. Ich hätte ihr die SMS nicht zeigen sollen, aber ich hab es getan.
Emily liest. Sie starrt mich mit wilden Augen an, schüttelt ihre pechschwarzen Haare aus dem Gesicht und springt auf. „So eine Gemeinheit. Ich kapier nicht, was mit der los ist!“ Sie rennt über den Schulhof. Bevor sie hinterm Schulhaus verschwindet, hole ich sie ein.
„Emily. Jetzt bleib doch. Komm, beruhige dich. Laura kriegt sich schon wieder ein!“
Aber sie schüttelt sich nur wie ein nasser Hund. „Das hätte ich nie von Laura gedacht. Die ist nicht mehr meine Freundin. Mit der bin ich fertig!“
Ich fasse sie am Ellbogen. „Das wird schon wieder, glaub mir!“, sage ich und es klingt wie bei meiner Ma, wenn sie mich trösten will. Blöd! Ich hör es ja selbst.
„Lass mich los. Ich will nach Hause. Ich muss jetzt allein sein und nachdenken.“ Emily schüttelt mich ab.
Finn ist uns gefolgt. „Emily!“, ruft er. „Warte, ich helf dir über das
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