Acht Tage im August
auch bei vierhändigen Stücken. Sie waren aber auch sonst pure Harmonie.«
»Soll heißen?«
»Na ja, Väter und Töchter stehen einander ja oft sehr nah, aber bei den beiden war es schon auffällig, wie gut sie sich verstanden. Sie waren, wie man so sagt, ein Herz und eine Seele.«
Assauer erinnerte sich, im Wohnzimmer der Frieses einen Flügel gesehen zu haben. Er hatte ihn automatisch Claudia Friese zugeschrieben. Niemals wäre er auf den Gedanken gekommen, dass Professor Friese mit seinen Riesenhänden einem Klavier auch nur die Töne einer einzigen Zeile Noten hätte entlocken können.
»Irgendwelche schulischen Probleme?«
Julia Köhler schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Nur gute bis sehr gute Noten. Außer in Latein, das wollte ihr einfach nicht in den Kopf. Erst in letzter Zeit hat sich sich auf einmal verbessert. Sie steht jetzt auf ’ner Zwei.«
»Kann ich mal mit der Klasse reden?«
»Selbstverständlich, gehen wir rein.«
Im Klassenzimmer standen die Mädchen und Jungen in Grüppchen beieinander. Assauer fiel auf, dass keinerlei Arbeitsmaterial auf den Tischen lag. Anna war wohl das einzige Thema heute.
»Das ist Hauptkommissar Assauer von der Kriminalpolizei«, stellte die Lehrerin ihn vor. »Er hat ein paar Fragen wegen Anna.«
Die Schüler setzten sich schweigend.
»Ihr wisst ja alle, was passiert ist«, begann Assauer, »und wahrscheinlich seid ihr ebenso ratlos wie Annas Eltern, wie eure Lehrer und auch wir von der Polizei. Meine Kollegen und ich versuchen herauszufinden, was zu Annas Tod«, Assauer vermied bewusst das Wort ›Selbstmord‹, »geführt hat. Vielleicht weiß jemand von euch, ob sie Schwierigkeiten, Liebeskummer oder vielleicht Streit zu Hause hatte. Irgendwas, das uns helfen könnte.«
Die Schüler schauten ihn an, aber keiner sagte etwas.
»War denn jemand von euch besonders mit Anna befreundet?«, fragte Assauer in ihr Schweigen.
Alle Augen richteten sich auf ein zierliches Mädchen mit hellem, auffallend kurzem Haar in der zweiten Reihe.
»Marion Krollmann«, sagte die Lehrerin halblaut zu Assauer. »Sie und Anna hingen ständig zusammen.« Assauer sah dem Mädchen in die Augen und machte mit dem Kopf eine Geste Richtung Tür. »Können wir uns mal unterhalten, allein, auf dem Gang?«, forderte er sie auf. Sie stand auf und ging unter dem Raunen ihrer Klassenkameraden mit ihm hinaus.
»Ich sollte dabei sein«, meinte ihre Lehrerin, aber ein Blick Assauers genügte, um sie davon abzuhalten.
Als sie draußen waren, fragte Assauer: »Ihr wart gute Freundinnen, nicht wahr?«
Marion schniefte, Tränen traten ihr in die Augen und ließen das dunkle Make-up verlaufen. »Ja, schon seit der fünften Klasse. Wir haben immer alles miteinander gemacht. Letztes Jahr waren wir sogar bei derselben Gastfamilie in Edinburgh.«
Sie sah Assauer direkt ins Gesicht. »Anna hat sich umgebracht, oder?«
»Ja, das hat sie, aber wir wissen nicht, wieso. Hatte sie vielleicht Liebeskummer, weißt du was über ihren Freund?«
Das Mädchen zuckte die Schultern. »Eigentlich nichts«, meinte sie. »Außer vor ein paar Wochen, da haben wir wieder mal über Sex geredet. Da hat sie richtiggehend davon geschwärmt, wie toll das sei und so. Aber als ich wissen wollte, mit wem sie zusammen war, da hat sie ganz schnell das Thema gewechselt. Und wenn ich sie später mal drauf angesprochen habe, hat sie total gemauert. Sie hat ein richtiges Geheimnis draus gemacht.«
»Und ihre Eltern, wie war Annas Verhältnis zu denen?«
»Zu ihrer Mutter nicht so besonders, die hat so komische Ansichten. Aber ihren Vater, den hat Anna absolut vergöttert. Nicht nur wegen der Musik. Der ist auch sonst total cool.«
Hier war nichts zu holen, merkte Assauer und ging mit Marion wieder ins Klassenzimmer zurück. Er drückte der Lehrerin seine Visitenkarte in die Hand und verabschiedete sich.
An einem Fenster im Treppenhaus blieb er stehen und schaute hinunter in den Hof auf das Gewimmel von Mädchen und Jungs, die ihre Pause an der frischen Luft verbrachten.
Annas Freund, grübelte Assauer, bist du einer von denen da drunten? Einer von den Jungs aus der Abiturklasse vielleicht? Er verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Das wäre nicht unbemerkt geblieben, da war er sich sicher. So stieg er die Treppe hinab und ging über den Hof hinaus in den Park.
Der Besuch des Gymnasiums hatte ihn um kein Haar gescheiter gemacht. Ein vertrautes Gefühl.
***
Es schlug gerade Mittag vom Turm der Marienkirche, als
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