Acht Tage im August
Hammer vor der Pfarrkirche in Rasting ausstieg. Ein imposanter Bau, dachte er, während er die barocke Architektur der Kirche auf sich wirken ließ. Vor drei Tagen hatte er weder Auge noch Sinn dafür gehabt.
Er trat ein und blickte sich drinnen um. Auch hier barocke Pracht, Stuck und reiche Verzierungen aus Gold, Heiligen-Statuen in den Nischen, Bilder, bunte Glasfenster mit biblischen Motiven und vorne, alles beherrschend und lebensgroß, ein Gekreuzigter über dem Altar. Seine Ministrantenzeit in München fiel ihm ein und auch, wie ihm als Kind das Innere von Kirchen immer irgendwie bedrückend erschienen war. Er empfand noch immer so, stellte er fest. Vorne angelangt, bemerkte er das Polizeisiegel an der Tür zum Glockenturm. Überflüssig, dachte er, ging hin und entfernte es.
Pfarrer Arnsberger kam aus der Sakristei. »Sie sind nicht katholisch, oder?«, sagte er statt einer Begrüßung.
Hammer erkannte an der Frage, dass Arnsberger ihn seit seinem Eintreten beobachtet hatte und natürlich auch registriert hatte, dass er es beim Hereinkommen nicht für nötig befunden hatte, sich zu bekreuzigen, wie es Brauch war.
»Doch, schon«, antwortete er knapp.
»Aber?«
»In meinem Beruf verliert man leicht den Glauben an Gott.«
»Und in meinem«, seufzte der Pfarrer, »den an die Menschen.«
»Zwei Ungläubige in der Kirche also«, stellte Hammer mit einem Lächeln fest.
»Setzen wir uns doch«, meinte Arnsberger und ließ sich auf eine Bank nieder, »vielleicht finden wir gemeinsam ein wenig von unserem Glauben wieder – jeder von dem seinen.«
Hammer setzte sich zu ihm.
»Ein andermal gern, Herr Pfarrer, heute bin ich wegen Anna hier.«
»Ja, ich weiß schon, die wichtigen Fragen schieben wir gern auf. Bis es dann zu spät ist.« Arnsberger sah hoch zum Kruzifix, dann zurück zu Hammer.
»Was möchten Sie wissen?«
»Wir versuchen, den Grund für Annas Selbstmord zu finden. Aber bisher haben wir nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, was sie dazu bewegt hat, sich das Leben zu nehmen.«
Arnsberger zog die Schultern hoch, seufzte tief, schüttelte den Kopf. »Ich habe Anna nicht sehr gut gekannt«, sagte er dann. »Sie war vor allem in der Jugendgruppe unsrer Kirche aktiv. Mir ist sie nie besonders aufgefallen.«
Hammer spürte eine Reserviertheit in Arnsbergers Worten und mehr noch im Tonfall, in dem er über Anna sprach. War in der Jugendgruppe etwas vorgefallen, mit dem das Mädchen Arnsberger verärgert hatte?
»Können Sie sich denken, warum Anna sich umgebracht hat?«, fragte er direkt.
»Dass sie irgendetwas bedrückte, war ihr nicht anzumerken. Ich kann mir nicht denken, warum Anna nicht mehr leben wollte und warum sie sich ausgerechnet so umgebracht hat.«
Hammer entging der Vorwurf in Arnsbergers letztem Satz nicht.
»Ihr Seminarist, Johannes, leitet doch die Jugendgruppe. Könnte ich ein paar Worte mit ihm reden?«
»Den hab ich heut früh in den Senkel gestellt«, erklärte Arnsberger mit unverhohlenem Ärger in der Stimme, »der wollte mir doch glatt erklären, wie ich mein Priesteramt zu versehen habe. Geh’n Sie ruhig rüber ins Pfarrhaus, er ist auf seinem Zimmer. So, wie ich den zusammengefaltet habe, werden Sie ihn aber erst auseinanderklappen müssen, bevor er mit Ihnen reden kann.«
»Mach’ ich«, erwiderte Hammer auf diesen Ausbruch seines Gegenübers, ohne näher nachzufragen, was es gegeben hatte. Er würde es von Johannes erfahren, war er sich sicher.
Hammer stand auf.
»Vergessen Sie nicht unser anderes Gespräch«, mahnte der Pfarrer, erhob sich ebenfalls, allerdings recht mühsam wegen seiner Leibesfülle, und drückte Hammer die Hand zum Abschied.
»Ich werd’ dran denken«, versprach der und ging.
Er fand den Priesterschüler in dessen Zimmer bei einer eher profanen Beschäftigung: Bügeln.
»Beruhigt die Nerven«, sagte Johannes entschuldigend, als Hammer eintrat.
»Ich hab schon gehört, es hat was gegeben«, sagte Hammer und sah sich rasch um. Schreibtisch, Stuhl, Bett, Schrank, Bücherbrett, ein Kruzifix über der Tür und ein Marienbild als einziger Wandschmuck. Eher Mönchszelle als Studentenbude.
»Er weigert sich, Anna hier auf dem Friedhof zu bestatten«, stieß Johannes hervor. Seine Stimme zitterte dabei.
»Wieso das denn?«, fragte Hammer und erhielt eine haarkleine Schilderung von Johannes’ Auseinandersetzung mit seinem Pfarrer.
»Hm«, war Hammers einziger Kommentar. Hier war man offensichtlich nicht nur geografisch abseits der
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