Acht Tage im August
Zeitströme.
»Anna war in Ihrer Jugendgruppe, nicht wahr?«, forschte er.
»Ja.«
»Wie gut kannten Sie sie?«
»Ich bin erst seit ein paar Monaten hier.« Die Antwort war ausweichend.
»Wir versuchen zu klären, warum sie sich das Leben genommen hat. Haben Sie irgendeine Ahnung, warum sie das getan haben könnte?«
Johannes stellte das Bügeleisen ab, zog den Stecker heraus, wickelte langsam das Kabel auf.
Braucht er Zeit zum Überlegen?, fragte sich Hammer.
»Es ist so furchtbar«, kamen dann Johannes’ Worte leise. »Wir alle fragen uns das.«
»Wir müssen vor allem wissen, wer Annas Freund war«, fuhr Hammer fort.
»Annas Freund?«
»Ja, war es vielleicht ein Junge aus der Jugendgruppe oder hier aus dem Ort?«
Johannes sah aus dem Fenster, als könnte von dort eine Antwort kommen, drehte sich dann wieder zu Hammer.
»Der eine oder andere hat sie schon mal angebaggert, aber sie hat gar nicht drauf reagiert. Da war nichts, mit keinem von hier. Ganz sicher nicht.«
»Wir wissen aber, dass Anna einen Freund hatte. Hat sie nie eine diesbezügliche Bemerkung gemacht, wurde sie nie von jemandem mit einem Jungen gesehen?«
»Kein Wort und soviel ich weiß, ist sie auch nie mit jemandem beobachtet worden. Das hätte sich bei uns im Ort garantiert schnell herumgesprochen.«
Das hier brachte nichts, merkte Hammer. Der junge Mann wusste nichts oder vielleicht wollte er auch nichts sagen, warum auch immer.
Er bedankte sich für Johannes’ Auskünfte, die ihm nicht weiterhalfen, und bat: »Wenn Sie noch was hören, sagen Sie uns Bescheid.«
»Versprochen.«
Hammer marschierte zurück zum Auto. »Den Weg hierher hätt’ ich mir sparen können«, brummte er halblaut vor sich hin. »Der Pfarrer findet’s einfach peinlich, dass sich Anna ausgerechnet von seinem Kirchturm gestürzt hat. Wahrscheinlich hat er diesem Johannes einen Maulkorb verpasst.«
Er schloss den Wagen auf, um zurückzufahren, besann sich dann aber eines Besseren. Wenn er schon einmal hier war, konnte er sich auch noch im Ort umhören. Vielleicht hatte doch irgendwer etwas gehört oder gesehen. Außerdem würde ihn diese Ermittlungsarbeit noch eine Weile vom Büro fernhalten, was ihm nur recht war. Er ging los.
Zwei Stunden später stand er wieder am Auto. Patschnass, denn er hatte keinen Schirm mitgenommen – ein Fehler in diesem ›Sommer‹ – und ebenso gescheit, wie er losgezogen war. Nur grantiger. Niemand im Dorf hatte auch nur die Spur einer Ahnung, was Anna veranlasst haben konnte, sich das Leben zu nehmen. Natürlich bekam er hinter vorgehaltener Hand ein paar Andeutungen in Richtung Vater zu hören. Aber die Quelle dieses Verdachts kannte er ja. Auch in Rasting las man Zeitung. Außerdem waren Sätze, die mit Worten wie: ›Also ich hab’ gehört …‹ oder ›Die Leute sagen …‹ begannen, ebenso wenig wert wie Sätze, die mit den Worten endeten: ›Aber ich will nix gesagt haben‹ oder: ›… man weiß ja nix Genaues.‹
Niemand wusste was Genaues oder was Ungenaues oder überhaupt was. Es war zum Auswachsen!
Hammer wollte nur noch raus aus diesem Ort. Er stieg ein, knallte die Tür zu, startete den Motor, ließ das Gebläse rauschen, um die beschlagenen Scheiben klarzukriegen, schaltete die Wischer auf Maximum und sauste durch die Pfützen der Hauptstraße zum Ortsausgang, wobei er zwei Frauen, die eben aus dem Edeka-Markt kamen, von oben bis unten nass spritzte. Das ihm hinterhergeschriene »Saubär, dreckerter!« hörte Hammer nicht.
Ob sein Kollege was erreicht hatte, fragte er sich, ruhiger geworden, nach ein paar Kilometern. Er griff zum Handy.
»Und?« fragte er nur, als Assauer sich meldete.
»Nix.«
»Bei mir auch. Ich hab das Gefühl, wir jagen ein Phantom.«
»Ein Phantom mit Kondom? Reimt sich, aber existiert nicht. Da steckt immer ein stinkordinäres Exemplar der Gattung homo sapiens drin!«
»Stimmt, und je nachdem, wie ›sapiens‹ dieses Exemplar ist, finden wir es früher oder halt ein bisschen später.«
»Höchstwahrscheinlich, wenn Ernie und Bert mit ihren Fleißaufgaben fertig sind.«
»Also warten wir’s ab. Die melden sich schon, wenn sie was haben.«
»Und was machen wir bis Büroschluss?«
»Ermitteln, was sonst?«
»Im ›Kowalski‹?
»Im ›Kowalski‹!«
So machten sie es. Sie trafen sich dort, zogen sich an einen ruhigen Tisch zurück, schalteten ihre Handys aus, leerten einige Tassen Kaffee, aßen Sandwiches dazu und entwarfen nebenbei für ihre Interimschefin
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