Acht Tage im August
wissen Sie nicht, was Sie ihnen antun, wenn Sie die Beerdigung ihres Kindes ablehnen?«
Da kam er bei Arnsberger gerade an den Richtigen!
»Seit wann«, polterte der los, »belehren Seminaristen Priester über ihre Pflichten? Was bildest du dir denn ein, du mit deinem theologischen Halbwissen! Wenn hier einer Nachhilfe braucht, bist du das! Zum Mitschreiben: Papst Nikolaus I. hat Selbstmord im Jahr 860 zur Todsünde erklärt! Das gilt bis heute! Außerdem ist das hier meine Pfarrei, hier bestimme ich, denn ich trage die Verantwortung für die gesamte Gemeinde. Deren Wohl bin ich verpflichtet. Jedermann in Rasting würde Annas Grab als Schandfleck auf dem Friedhof empfinden. Darauf habe ich Rücksicht zu nehmen. Wenn es dir nicht passt, wie ich mein Amt versehe, steht es dir frei, dein Praktikum anderswo abzuleisten! Und für den Fall, dass dir der Sinn nach einer Beschwerde höheren Orts steht, prophezeie ich dir als Resultat eine ausführliche Lektion zum Thema Demut und Gehorsam. Eine, die mir für dich dringend nötig scheint.«
***
Assauer hatte sich, Regen hin, Regen her, zu Fuß auf den Weg in Annas Schule gemacht. Einen mächtigen Schirm in der Hand, wechselte er über die Schanzlbrücke auf die andere Donauseite. Noch ein paar Tage so ein Regen, dann würde die Standardfußbekleidung in Passau wieder einmal der Gummistiefel sein, dachte er angesichts der braunen Fluten unter sich.
Drüben ging er noch ein Stück flussaufwärts, bis er rechts abbog in Richtung Freudenhain. Das dortige Schloss, im 18. Jahrhundert von einem Passauer Fürstbischof als Sommerresidenz erbaut, gab, wie Assauer im Näherkommen vermerkte, einen wahrhaft stattlichen Rahmen für eine Schule ab. Es hatte so gar nichts gemein mit den Zwingburgen, an die er sich aus seiner Münchner Schulzeit erinnerte. Dem Gebäude und dem Park war eine fröhliche Aura gemein, noch verstärkt durch die Musik, die aus einigen geöffneten Fenstern drang.
Assauer hatte sich unterwegs per Handy bei der Direktorin, Dr. Jeanne Martineau, angemeldet und wurde von der Schulsekretärin unverzüglich ins Direktoratsbüro geführt.
»Frau Dr. Martineau kommt gleich, kann ich Ihnen einen Kaffee bringen?«, fragte sie.
Assauer bejahte und die Sekretärin verschwand, um gleich darauf Kaffee und Plätzchen zu servieren. Assauer sah sich in dem dunkel möblierten Raum um. Die Zeitung mit Annas Foto lag auf dem englischen Schreibtisch. Man wusste hier also schon Bescheid.
Jeanne Martineau, eine energisch wirkende, gepflegte Frau um die fünfzig, kam herein, begrüßte ihn freundlich und bat ihn, Platz zu nehmen. Assauer reichte ihr pro forma seinen Dienstausweis.
»Sie wissen schon, warum ich komme?«, sagte er mit Blick auf die Zeitung.
»Annas Vater hat mich schon gestern zu Hause angerufen. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist einfach unfassbar. Ich habe die Kollegen und Annas Klasse bereits informiert.«
»Wie war sie so als Schülerin?«
»Wir hatten kaum persönlichen Kontakt. Wenn ich unterrichte, dann im Wirtschaftszweig. Anna war im musischen. Aber ich bringe Sie gleich zu ihrer Klassenlehrerin, die kannte sie besser.«
Sie stand auf und bat Assauer, ihr zu folgen.
Während sie den Gang entlanggingen, klingelte es zur Pause. Türen flogen auf und sie mussten sich durch ein Knäuel von Kindern zu Annas Klasse durchkämpfen.
Die Lehrerin, Julia Köhler, stand in der Tür. Eine sportliche Erscheinung in Jeans und beigefarbenem Blazer, mit blondem Pferdeschwanz und blaugrünen Augen. Assauer schätzte sie auf Ende zwanzig, Anfang dreißig und stellte fest, dass sie ihm gefiel, sehr gefiel, konnte aber an ihrer Miene nicht ablesen, welchen Eindruck er auf sie machte.
Die Direktorin machte sie miteinander bekannt und verließ sie dann, nicht ohne zu versichern, sie stehe jederzeit gerne zur Verfügung, wenn er noch Fragen an sie habe.
»Furchtbar, das mit Anna. Wir sind alle erschüttert, an Unterricht ist heute nicht zu denken«, sagte Julia Köhler.
»Was für ein Mädchen war sie?«, fragte Assauer.
»Eher zurückhaltend, sehr begabt, vor allem in Musik und Mathematik, das geht ja oft miteinander einher.«
»Kennen Sie die Eltern?«
»Die Mutter kam nur ein, zweimal zur Sprechstunde, sie ist viel unterwegs. Aber den Vater kenne ich gut. Er hat einige Male bei Schulkonzerten zusammen mit Anna musiziert. Er ist ein ziemlich guter Pianist. Anna hatte ihr Talent offensichtlich von ihm geerbt. Die beiden waren ein tolles Duo, vor allem
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