Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
bisweilen auch dann, wenn die Ereignisse völlig unverbunden sind und sich nur durch Zufall zeitlich oder räumlich nahe stehen. In diesem Sinn hat unser Gehirn eine Disposition zu linearem Ursache-Wirkungs-Denken.
Damit zusammenhängend – aber auch darüber hinausgehend – kultiviert unser Gehirn Neigungen zur Induktion. Bei der induktiven Schlussweise wird aus einer Reihe von Erfahrungen oder Beobachtungen eine allgemeine Aussage gewonnen. Es ist eine Vorgehensweise, die, rein logisch betrachtet, nicht unbedingt wahrheitsstiftend ist, denn die gewonnene allgemeine Aussage muss nicht zwingend auch richtig sein. Die induktive Schlussweise wird ganz besonders deutlich beim Handeln eines Arztes, der eine Diagnose erstellen will, oder bei den Ermittlungen eines Kommissars, der einen Fall aufklären soll.
Und nicht zuletzt ist unser Gehirn darauf geeicht, jene Interpretationen von Phänomenen zu bevorzugen, die mit den unaufwändigsten Annahmen oder der geringsten Zahl von Voraussetzungen auskommen. Dieser Ansatz wird nach William von Ockham als Ockhams Rasiermesser bezeichnet. Er favorisiert unter mehreren plausiblen Erklärungen für einen Sachverhalt die einfachere, unkompliziertere; alle anderen werden mit einem methodischen Rasiermesser abgeschnitten.
Aus all diesen und einigen anderen kognitiven Abkürzungen ergibt sich eine Vielzahl intuitiv akzeptierter Lebenserfahrungen und Alltagsklugheiten, hier in einem anspruchsvollen Sinn des Wortes aufgefasst. Einige davon werden in der Folge exemplarisch notiert. Es sind Dinge, die man einfach so und nicht anders
denkt
, im Sinne der indogermanischen Wurzel «teng» dieses Wortes: «für wahr halten». Zum Beispiel:
Wenn jemand nur ungünstige Optionen hat, dann kann er auch durch noch so geschickte Kombination dieser Optionen nicht zu etwas für ihn Günstigem kommen.
Wenn ein vom Zufall abhängiges Ereignis lange nicht eingetreten ist, dann wird es wahrscheinlicher, dass es bald eintritt.
Wenn jemand mehr von etwas Gutem hat, dann ist es besser, als wenn er weniger davon hat.
Wenn jemand in jeder Teildisziplin der Sieger ist, dann ist er auch der Gesamtsieger.
Überraschenderweise werden wir aber auf Gegenbeispiele für all diese scheinbar offensichtlichen und vermeintlichen Allround-Wahrheiten treffen. So ist es etwa ausgeprägt kontraintuitiv,
– wenn ich zwei für mich ungünstige Sachlagen zu einer einzigen für mich günstigen Konstellation kombinieren kann (Parrondo-Paradoxon);
– wenn eine größere Anzahl von Wählerstimmen für eine Partei bei unveränderter Wählerstimmenzahl aller konkurrierenden Parteien dazu geführt hätte, dass die Partei für diese größere Zahl erhaltener Stimmen weniger Sitze im Parlament bekommt (Wählerzuwachs-Paradoxon);
– wenn ein Medikament A zwar in jeder Teilregion eines Gebietes eine größere Heilungsrate zu verzeichnen hat als ein damit konkurrierendes Medikament B, dennoch aber im gesamten Gebiet bei Zusammenfassung der Daten aller Teilregionen das Medikament B eine größere Heilungsrate aufweist als A (Simpson-Paradoxon).
So weit unsere kleine Beispielbörse.
Diesen und anderen ähnlich mysteriösen Phänomenen werden wir tatsächlich in überschaubaren Situationen begegnen. Wir werden sie ins Rampenlicht rücken und sehen, wie sie die große Bühne im Reich des Geistes bespielen. Und sie werden uns verwundern, verwirren nicht weniger. Trotz dieser und weiterer zutage tretender Zweifel an ihrer Zweifellosigkeit funktionieren unsere obigen Intuitionen beim Alltagseinsatz meistens recht gut. Doch bei den gehobenen Ansprüchen, wie sie etwa in der Wissenschaft oder in der Rechtsprechung gestellt werden, ist bei ihrem Einsatz Vorsicht geboten.
Generell kommt der menschlichen Intuition im Alltag eine wichtige Rolle zu. Auch Intuition ist darauf gerichtet, Einsichten zu erlangen, Entscheidungen zu treffen und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, um einen komplexen Alltag navigabel zu machen, ohne dass der Verstand dabei bemüht wird. Die Welt der Intuitionen und Bauchgefühle ist ein von Eingebungen ausgehöhlter Ort. Der Gegensatz zwischen rationalem und intuitivem Denken ist Ausdruck der Tatsache, dass wir zwei Hirnhälften besitzen, die wie zwei recht eigenständige, aber verbundene Gehirne arbeiten. Die linke Hemisphäre ist dabei für das logisch-rationale Denken zuständig, das für die Dinge der Welt nach Erklärungen sucht. Die rechte Hemisphäre ist stärker gefühlsorientiert, intuitionsbasiert und
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