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Achtung, Gutmenschen!: Warum sie uns nerven. Womit sie uns quälen. Wie wir sie loswerden.

Achtung, Gutmenschen!: Warum sie uns nerven. Womit sie uns quälen. Wie wir sie loswerden.

Titel: Achtung, Gutmenschen!: Warum sie uns nerven. Womit sie uns quälen. Wie wir sie loswerden. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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Wie ein schöner kleiner Trip.
    Doch von solch glücklichen Augenblicken abgesehen ist der Umgang mit Wörtern für gute Menschen anstrengend geworden. Um sich nicht angreifbar zu machen, müssen sie immer häufiger beschönigende Umschreibungen verwenden. «Amerikanische Ureinwohner» für «Indianer», «Straffälliger» für «Verbrecher», «Feuchtbiotop» für «Matsch», «barrierefrei» für «behindertengerecht», «nicht behindert» für «gesund», «anders befähigt» für «dumm» und «Prekariat» statt «Unterschicht», denn befähigt sind alle, und unten ist niemand.
    Oder sind Sie unten? Ich ebenfalls nicht. Und wenn wir uns am Bagel-Shop treffen, sollten wir uns bei der Bestellung schon mal auf «Backwaren mit Migrationshintergrund» einigen für die ursprünglich jüdischen und koscheren Bagels. Denn auch Backwaren und Delikatessen sollten keine diskriminierenden Zutaten enthalten. Das ahnen wir schon länger, weil wir nirgends mehr «Zigeunerschnitzel» angeboten bekommen, nicht mal «Sinti-und-Roma-Schnitzel».
    Und natürlich haben wir es daran gemerkt, dass wir schon lange keine «Negerinnen- und Negerküsse» mehr bekommen, sondern nur noch geschlechtsunspezifische und ethnienneutrale «Schokoküsse». Es gibt noch eine Website, die sich dem Schaumgebäck widmet und auf der tatsächlich das Wort «Negerkuss» vorkommt. Der Webmaster erklärt schuldbewusst: «Auch wenn ich hier die Begriffe Negerkuss und Mohrenkopf mitbenutze, möchte ich ausdrücklich erklären, dass ich eine antirassistische Einstellung habe» ( www.gekuesst.de/home/Schaumkuss.htm ).
    Ob diese Erklärung reicht? Oder sollte ein Gutmensch da mal nachhaken? Der Krimi Zehn kleine Negerlein von Agatha Christie ist auch schon umbenannt worden. Er heißt jetzt – nein, nicht Zehn Farbige mit vertikaler Herausforderung , sondern Da waren’s nur noch neun . Damit ist einer Abmahnung wegen Diskriminierung hinreichend vorgebeugt.
    Am Beginn der verlogenen Sprache stand die Hoffnung, dass ein geänderter Wortgebrauch auch in der Praxis etwas ändert, zumindest im Denken, dass er zum Beispiel die Geringschätzung anderer reduziert oder womöglich beseitigt. Diese Zuversicht hat einst schon die Sprache in Arbeitszeugnissen verwandelt: Negative Bewertungen gibt es dort seit langem nicht mehr. Für das ungeübte Ohr hört sich alles großartig an. Doch der halbwegs Eingeweihte durchschaut die positiven Worte und kennt ihre wahre – weniger freundliche – Bedeutung. Nur die «aktiven Senioren» merken nicht mehr, dass sie eigentlich abgeschobene Alte sind. Dafür fühlen wir uns besser, wenn wir sie nicht in ein «Altersheim», sondern in eine «Seniorenwohnanlage» stecken.
    Sich selbst wohl fühlen, möglichst unangreifbar sein und keinesfalls als menschenverachtend dastehen: Das ist der Ursprung der schönen Lügen. Hinter dem verschwitzten Eiertanz beim öffentlichen Sprechen steckt die Furcht, Anstoß zu erregen oder gar als chauvinistisch und reaktionär gebrandmarkt zu werden.
    Politiker mussten die Kunst der rücksichtsvollen Umschreibung als Erste lernen. Um wählbar zu bleiben, haben sie darauf zu achten, keine angreifbaren Worte zu benutzen, jedenfalls nicht bei eingeschaltetem Mikro. Sonst heißt es bereits in den Abendnachrichten: «Öffentliche Verbände und Politiker aller Parteien haben mit großer Entrüstung auf die jüngsten Äußerungen von Staatssekretär N. oder Kanzlerkandidat O. reagiert.»
    Fernsehjournalisten und Moderatoren haben nachgezogen und beugen sich den ungeschriebenen Gesetzen. Sie sind in ähnlich prekärer Lage, weil es professionelle Anstoßnehmer gibt, die sich herzlich gern im Namen anderer gekränkt fühlen. Mittlerweile reden alle so, als wären sie moralisch lautere und ethisch äußerst verantwortungsvolle Wesen. Öffentlich jedenfalls reden sie so, oder solange Fremde und schwer einschätzbare Leute zuhören. Fast wie damals in der Diktatur. Einen vagen Gesinnungsdruck spürend, sehen sie sich vor. Gutmenschen sind vieles – mutig bestimmt nicht.
    Hat die Abschaffung diskriminierender Begriffe frühere Schmähungen ungeschehen gemacht? Wird sie dergleichen für die Zukunft verhindern? Bestimmt nicht. Die Sprachregelungen haben lediglich dazu geführt, dass die Sprachregler sich vergnügt räkeln und dass die Aufpasser noch ein paar Gründe mehr haben, zuzuschnappen. Alle anderen üben sich unterdessen in der Kunst der Lüge, was allerdings nicht die schlechteste der Künste ist: Sie schult

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