Achtung Kurven
Oskar Zauner für längere Zeit ausgeschaltet blieb.
Frau Zauner nahm Herolds Angebot nicht an, aber sie bedankte sich herzlich und vergoß dabei nervöse Tränen. Sie rannen ihr bei jeder Gelegenheit aus den Augen, und Herold sah auch für die Wiederholung der Prüfung schwarz. Außerdem war ihm klar, daß Zauners Sache hoffnungslos aussah. Der Alkoholtest würde ihm das Genick brechen. Er bedeutete verminderte Reaktionsfähigkeit, und wenn es sich auch nur um Bruchteile von Sekunden handelte, so genügten eben diese, um den Bremsweg des Wagens um die entscheidenden Zentimeter zu verlängern.
»Sie müssen sich jetzt aufs Auto konzentrieren, Frau Zauner!« sagte er eindringlich, als sie an einer Straßenkreuzung nach links abbiegend zu spät auf die Bremse trat und so weit in die Gegenfahrbahn hineingeriet, daß sie die von rechts kommenden Fahrzeuge zu Ausweichmanövern zwang. Das blau-rote Fahrschulschild auf der vorderen Stoßstange stimmte die Fahrer gnädig. »Wenn Ihnen solche Sachen bei der Prüfung passieren, dann ist mal wieder Sense, wie mein Chef sagen würde.«
»Wenn nur nicht wieder dieses Ekel die Prüfung abnimmt!« seufzte sie. »Nein, wirklich, ich setze mich gar nicht ans Steuer, wenn jener Kerl mit seinem kalten Schildkrötengesicht daherkommt.«
»Reden Sie sich keinen Unsinn ein, die Prüfer sind einer wie der andere, und ob Herr Schindler schnauzt oder ob ein anderer mit sanfter Stimme verkündigt, daß es nicht geklappt hat, das bleibt sich doch gleich.«
Er hetzte sie kreuz und quer durch die Stadt, über die unangenehmsten Kreuzungen und durch die engsten Gassen hindurch, er ließ sie in Parklücken einrangieren, die er selber vermieden hätte, und er gebrauchte alle jene üblen Tricks, mit denen der Ingenieur die Prüfungskandidaten in tückische Fallen zu locken versuchte.
»Na also!« sagte er schließlich, als sie wieder vor der Fahrschule hielten, »das ging ja wie geschmiert. Ich hätte es nicht besser machen können, und Herr Schindler auch nicht!«
»Hoffentlich geht es am Freitag auch so gut«, sagte sie kleinlaut.
»Und denken Sie daran«, mahnte er, »solange ich beim Rückwärtseinparken den Kopf nach links gedreht halte, schlagen Sie die Steuerung unentwegt scharf rechts ein. Sobald ich geradeaus schaue, drehen Sie das Steuerrad voll nach links! Ist das klar?«
Sie nickte dankbar und verabschiedete sich.
Herr Knell war inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die Armfraktur war gut geheilt. Anders verhielt es sich mit dem Schädelbruch, er war zur Ursache eines Tremors geworden, eines ständigen Zitterns beider Hände, das befürchten ließ, Robert Knell werde seinen Beruf als Graveur nicht mehr ausüben können. Das hieß für Oskar Zauner, wenn die Versicherung den Fall wegen Zauners Fahruntüchtigkeit ablehnte, daß er für den Unterhalt der Familie Knell aus eigener Tasche aufzukommen hatte.
Vielleicht ging das Schicksal der Zauners Heinz Herold deshalb so nahe, weil er selber einiges vom Leben abbekommen hatte. Sein Vater, ein hervorragender Cellist, hatte sich als fünfzigjähriger Professor an einem Staatskonservatorium leidenschaftlich in eine um dreißig Jahre jüngere Studentin verliebt, die Professur aufgegeben, die Familie verlassen, die Scheidung durchgesetzt und seine Studentin geheiratet. Mit zwei älteren Schwestern, die beide mit Studienräten verheiratet waren, verbanden ihn nur sehr lose Beziehungen. Die Mutter war vier Jahre nach der Scheidung an einem Krebsleiden gestorben. Als die Scheidung ausgesprochen wurde, hatte er sieben Realschulklassen und eine zweijährige Volontärzeit in einer Maschinenfabrik hinter sich gebracht und stand auf einem Polytechnikum im dritten Semester seiner Ausbildung zum Maschinenbauingenieur. Die spärlich und sehr unregelmäßig einlaufenden Unterhaltszahlungen seines Vaters langten kaum für die Mutter allein. Herold mußte das Studium an den Nagel hängen und verdiente sich seine Brötchen als Kraftfahrzeugmechaniker. Eine Nierenbeckenentzündung, die er sich in der zugigen Halle holte, zwang ihn zu einer langen Pause, und schließlich veranlaßten ihn die Warnungen seines Arztes, sich nach einem anderen Beruf umzusehen. So war er Fahrlehrer geworden und nach Umwegen über Mannheim und Stuttgart vor einem halben Jahr bei der Fahrschule Bauersfeld gelandet.
Als er gemeinsam mit Rothe sein Tagebuch um halb sieben im Büro der Chefin vorlegte, ging ihm die Zauner-Geschichte noch immer im Kopf herum. Rothe
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