Achtung Kurven
Schlimmes passiert sein mußte, denn sie machte einen sehr verstörten Eindruck.
»Was ist denn geschehen, Frau Bauersfeld?«
»Dieser Unglücksmensch!« keuchte sie, und ihre Augen irrten umher, als suche sie den Fluchtweg aus einem brennenden Haus, »dieser Riesenidiot...!«
»Meinen Sie den Chef?« fragte er, ohne sich der Komik bewußt zu werden, die in seiner Frage lag.
»Wen sonst!« fuhr sie ihn an. »Stellen Sie sich vor, er ist mit dem Wagen in den Graben gefahren und mit dem Schädel durch die Windschutzscheibe gegangen. Und blau wie ein Veilchen ist er obendrein!« Er wunderte sich, daß sie sich darüber wunderte.
»Hat ihn die Polizei erwischt?«
»Bis jetzt noch nicht. Er ist zu Fuß heimgewankt. Der Unfall muß kurz vor der Stadt passiert sein, hinter Langenacker, wo die Straße die scharfe Kurve macht. Er behauptet, ein entgegenkommender Wagen hätte ihn geblendet.«
»Wenn er das weiß, kann er nicht total betrunken sein...«
»Ach was! Der Schreck hat ihn ernüchtert, der Schreck und der Blutverlust. Mir wurden die Knie weich, als er plötzlich vor mir an der Wohnungstür stand. Blutüberströmt, und mit der zerquetschten Nase überhaupt nicht wiederzuerkennen. Wahrscheinlich hat er sich das Nasenbein gebrochen. Und vielleicht auch noch einiges andere dazu...«
»Was haben Sie mit ihm gemacht?«
»Was macht man in solchen Fällen? Ich habe ihm die besudelten Klamotten heruntergezogen und versucht, ihn zu waschen...«
Sie griff plötzlich mit einer verzweifelten Gebärde nach seinen Händen: »Sie müssen mir helfen, Herr Herold! Für uns steht alles auf dem Spiel! Unsere ganze Existenz!« Ihre blassen abgeschminkten Lippen begannen zu zucken, und ein paar Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Ich will Ihnen natürlich gern helfen«, stotterte er ein wenig verwirrt, »ich weiß nur nicht wie.«
»Kommen Sie mit«, bat sie hastig, »der Alte muß verschwinden, bevor die Polizei in der Wohnung erscheint!« Als sie den Chef den »Alten« nannte, klangen Ekel und Verachtung aus ihrer Stimme.
»Verschwinden...«, sagte Herold, »das hört sich gut an, aber wie wollen Sie ihn verschwinden lassen?«
»Mir wird schon etwas einfallen. Kommen Sie jetzt!«
Sie zog ihn mit sich. Es war ein Weg von knapp hundert Metern. Niemand begegnete ihnen. Frau Bauersfeld schloß die Haustür auf und lief vor Heinz Herold die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf.
Der Chef lag in dem pompös ausgestatteten Wohnraum in einem Sessel, hatte alle viere von sich gestreckt und röchelte vor sich hin. Er bot wahrhaftig keinen guten Anblick, obwohl die ärgsten Spuren des Unfalls beseitigt waren. Die Nase leuchtete, zur Größe einer Kinderfaust angeschwollen, blau aus dem zerschundenen Gesicht, auf dem sich das Blut schwarz zu verkrusten begann.
»Schöne Schweinerei, was?« knurrte er Herold entgegen.
»Das kann man wohl sagen, Chef...«
Heinz Herold war es klar, daß kein Hotel den Alten in diesem Zustand aufnehmen würde. Und es war natürlich auch völlig sinnlos, ihn etwa im Keller oder Speicher des Hauses oder in den Fahrschulräumen zu verstecken. Denn daß die Polizei das Haus von oben bis unten nach ihm absuchen würde, war sicher.
»Ich weiß wirklich keinen Rat«, sagte er schulterzuckend .
»Hotel...!« knurrte der Chef mit einem schmerzverzerrten Gesicht, »wer hat Ihnen diese Schnapsidee eingeblasen? Ich brauche kein Hotel, ich brauche einen Arzt, denn ich habe mir bestimmt ein paar Rippen gebrochen.«
»Halt den Mund!« fuhr sie ihn an, »du hast dir die Suppe eingebrockt, und jetzt frißt du sie auch aus! Und du wirst nicht zum Arzt gehen, bevor du nicht strohnüchtern bist!« Sie drehte sich zu Herold um und griff nach seinen Schultern. Ihre braunen Augen, die soeben noch Blitze geschleudert hatten, verschleierten sich unter neuen Tränen: »Sie müssen uns helfen, Herr Herold, und Sie allein können uns auch helfen...«
»Ich weiß nur nicht wie«, wiederholte er zögernd.
»Lassen Sie meinen Mann in Ihrem Zimmer übernachten. Dort findet ihn niemand, und dort sucht ihn auch niemand. Aber es muß schnell geschehen. Jede Sekunde ist kostbar!«
»Und ich?«
»Sie suchen sich ein gutes Hotelzimmer, natürlich auf unsere Rechnung. Bitte, Heroldchen, sagen Sie ja!«
Er schluckte schwer und nickte sparsam. Was blieb ihm anderes übrig?
»Ich wußte es, daß Sie uns nicht im Stich lassen würden«, seufzte sie dankbar und riß den Dicken aus dem Sessel hoch: »Los, mach schon, du Saufbruder!
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