Achtung Kurven
anderes übrig, wenn ich keinen Verdacht erregen will? Ich werde es mir im Sessel bequem zu machen versuchen.«
»Mein armes Tierchen«, sagte sie zärtlich. Und weniger zart fügte sie hinzu: »Hau dem Alten auf die Nase, wenn er zu sehr schnarcht. Es ist das einzige Mittel, das wirklich hilft. Dann also, bis morgen...«
Als Heinz Herold sein Haus betrat, hörte er den Alten durch die Doppeltür bis ins Treppenhaus schnarchen. Und der Chef wachte auch nicht auf, als er in seinem Zimmer das Licht einschaltete. Die Jacke hing über einem Stuhl, die Schuhe standen neben der Couch, und der Alte selber lag gewaltig wie ein umgestürztes Denkmal auf dem Rücken. Sein blutverkrustetes Gesicht mit der zerquetschten Nase sah schlimm aus.
Herold rüttelte ihn. Der Chef schnappte nach Luft und wollte sich unwillig auf die Seite wälzen, aber der Schmerz machte ihn munter. »Verdammt«, knurrte er, »was ist los? Laß mich doch schlafen.« Wahrscheinlich glaubte er, im Ehebett zu liegen und wie so oft durch einen Stoß mit dem Ellbogen zur Ruhe gemahnt worden zu sein.
»He, Chef«, sagte Herold eindringlich, denn mit der Lautstärke mußte er wegen Frau Schnetzer vorsichtig sein, »Sie liegen nicht in Ihrem Bett, sondern leider in meinem!«
»Ah, Herold«, ächzte er und bewegte angewidert den Mund, als wäre seine Zunge in Sägemehl paniert worden, »haben Sie was zu trinken da?«
»Leider nichts außer Wasser...«
»Auch das noch!« stöhnte der Chef, aber er stürzte den Inhalt des Krugs, den Herold ihm brachte, in einem Zug hinunter. »So? Das war Wasser? Gar nicht mal so schlecht...« Seine Ruhe war bewundernswert, und zum erstenmal entdeckte Herold an ihm Humor. Er versuchte, sich höher aufzurichten, aber er ließ sich stöhnend zurücksinken und preßte die Hände gegen die Rippen.
»Ob Sie nicht doch innerlich etwas abbekommen haben?« fragte Herold besorgt, denn dieses Gestöhne paßte nicht zu der eisernen Natur des Alten.
»Weiß der Teufel, ich habe das Gefühl, in einem Hammerwerk gewesen zu sein. Der verdammte Idiot fuhr voll aufgeblendet auf mich zu. Ich gab ihm Blinkzeichen. Keine Reaktion. Muß stockvoll gewesen sein, anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären. Er drückte mich von der Straße hinunter, sonst hätte es gekracht.«
»Ich glaube Ihnen aufs Wort.« Herold war tatsächlich davon überzeugt, daß sich der Unfall so abgespielt hatte, wie der Chef ihn schilderte, denn Paul Bauersfeld war ein Fahrer, dem man sich anvertrauen konnte, auch wenn er einen Schoppen zuviel erwischt hatte.
»Und nun erzählen Sie mal, Herold. Bis jetzt scheint alles planmäßig gelaufen zu sein, wie?«
Herold gab dem Chef einen genauen Bericht über die Ereignisse der letzten Stunden — natürlich mit einigen Auslassungen, die sein Privatleben betrafen. Der Chef hörte sehr genau zu. Er schien wieder völlig nüchtern zu sein.
»Das habt ihr beide gut hingekriegt, Sie und meine Frau. Und daß mein Freund Schorsch, der Wirt von der >Deutschen Eiche< in Windsberg, die Schnauze hält, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Wir waren vier Jahre lang beim gleichen Verein im Kriege, ich Spieß und er Zugführer...«
»Bisher ist die Geschichte gut gelaufen«, meinte Herold, »ich weiß nur nicht, ob sie weiterhin so glatt rollen wird.«
»Was kann jetzt noch viel passieren? Heute vormittag marschiere ich — falls ich marschieren kann — zur Polizei und erzähle den Brüdern, daß ich mich nach dem Unfall in die Stadt zu schleppen versuchte und dabei irgendwo in einem Maisfeld zusammengeklappt bin. Attest vom Doktor nehme ich mit. Und dann sollen sie mir erst mal beweisen, daß das nicht stimmt. Und wenn sie behaupten, daß ich blau war, dann dürfen sie mich ruhig anzapfen. Da werden sie nichts finden. Und Verdacht allein genügt nicht.«
»Ihre Ruhe möchte ich haben.«
Der Chef versuchte zu grinsen, aber es wurde eine schmerzverzerrte Grimasse: »Waren Sie eigentlich noch beim Barras?«
»Nein, Gott sei Dank war ich damals im Krieg noch ein Kind, und dann, als es wieder losging, nicht mehr knusprig genug.«
»Barras ist aber eine gute Schule, Herold!«
»Das merke ich... «, nickte Herold und kniff ein Auge zu.
Herold verbrachte die Nacht teils im Sessel und teils in seine Steppdecke gewickelt am Boden auf dem dünnen Teppich, und er wußte am Morgen genau, was es zu bedeuten hatte, wenn jemand behauptete, er fühle sich wie gerädert. Der Chef schlich, soweit man bei seinem Gewicht und bei seinem
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