Achtung Kurven
diesem Manöver daran, daß Sie sich als Teilnehmer am öffentlichen Verkehr so zu verhalten haben, daß kein anderer gefährdet, geschädigt oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.«
»Hach, der Paragraph 1 der Verkehrsordnung!« rief sie, als grüße sie einen alten Bekannten.
»Jawohl, und es wird gut sein, wenn Sie ihn bis zum nächsten Mal auswendig lernen.«
»Ich habe ihn schon für den Führerschein IV auswendig lernen müssen...«
»Um so besser. Und jetzt halten Sie sich daran, wenn Sie zurückstoßen. Auch Fußgänger sind Menschen, und sie haben es nicht gern, wenn sie auf die Hörner genommen werden.«
Nach drei vergeblichen Versuchen gelang es ihr, den Rückwärtsgang einzulegen und den Wagen auf die Hauptstraße zurückzustoßen. Später verlegte er den Unterricht in die ruhigeren, aber verwinkelten Gassen der Altstadt, so daß es der jungen Dame auch hier nicht langweilig wurde. Nach einer halben Stunde hakte er vor der Fahrschule ihren Namen in seinem Notizbuch ab: »Das nächstemal sehen wir uns Freitag wieder, Fräulein Schütz. Sie haben Ihre Sache heute übrigens recht ordentlich gemacht. Aber das ist nicht mein Verdienst. Sind Sie inzwischen wieder ein bißchen schwarz gefahren?«
»Ich werde mich hüten!« sagte sie und schwang die Beine vom Sitz, den der nächste Fahrschüler nicht erst kalt werden ließ.
Heinz Herold schaute Fräulein Schütz nach, wie sie flachbeschuht über die Straße zu dem Wagen ging, in dem ihre Freundin auf sie wartete. Auch auf flachen Absätzen hatte sie, entgegen ihrer eigenen Meinung, schlanke und wohlgeformte Beine. Und für hübsche Beine hatte Herold eine Schwäche. Plötzlich aber fiel ihm ein, daß sie hochhackig beschuht gekommen war; er griff hinter sich und angelte die blaue Leinentasche vom Rücksitz.
»Hallo, Fräulein Schütz!« rief er ihr nach, »Ihre Tasche!« und verließ den Wagen, um sie ihr zu bringen.
»Oh, danke! Wie konnte ich nur so vergeßlich sein! Mein Geld ist nämlich auch darin, und ich habe in der Stadt noch eine Menge zu besorgen.«
»Der Trick mit der Handtasche hat prima geklappt«, sagte Fräulein Schütz zu ihrer Freundin Tilly Sauter , die in einem Auto auf sie wartete. »Jetzt hast du ihn in voller Größe gesehen. Nun, wie gefällt er dir?«
»Er sieht recht flott aus, aber so umwerfend finde ich ihn nun wiederum auch nicht, daß ich mich auf den ersten Blick in ihn verschossen hätte. Die Geschmäcker sind eben verschieden — Gott sei Dank! Wie ist es nun, bummeln wir noch ein bißchen durch die Stadt?«
»Heute geht es nicht, ich hatte es schon schwer genug, mich von zu Hause loszueisen.«
»Du bist schon eine verrückte Nudel, Marianne«, sagte Tilly lachend und schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. »Wie lange willst du den Schwindel eigentlich noch fortsetzen? Ich finde den Spaß zu teuer...«
»Zu teuer und zu anstrengend«, bestätigte Marianne, »denn du ahnst nicht, wie schwer es ist, sich blöd zu stellen. Einmal würgte ich den Motor mitten im dicksten Trubel ab, und das zweitemal tat ich ihm den Gefallen, mich in eine verbotene Einfahrt locken zu lassen.«
Nachdem sie die Stadt verlassen hatten und sich einem Wald näherten, der sich fast bis nach Kirst hinzog, sagte Marianne: »Jetzt laß mich weiterfahren.« Tilly Sauter , deren Vater der Gasthof »Zum Straußen« in Kirst gehörte, hielt an. Marianne übernahm das Steuer ihres Wagens und fegte bereits in die nächste Kurve mit hundert »Sachen« hinein.
»Jetzt würde ich gern das Gesicht von deinem Herrn Fahrlehrer sehen«, sagte Tilly.
»Er hat selbst gesagt, daß ich meine Sache für die zweite Fahrstunde schon recht ordentlich mache«, erwiderte Marianne.
Wenn Heinz Herold sich nur dunkel daran erinnern konnte, daß ihm vor einigen Wochen kurz vor Kirst das Benzin ausgegangen war, so daß er die nächste Tankstelle auf suchen mußte, so entsann sich Marianne dieser kurzen Begegnung um so deutlicher. Er war im Auftrag des Chefs nach Waldsassen gefahren, wo eine Fahrschule aufgelöst wurde und ein fast neuer, fahrschulmäßig ausgerüsteter Wagen zum Verkauf stand. Das Fahrzeug war ihm vor der Nase weggeschnappt worden, aber das war schließlich nicht seine Schuld. Der strahlende Junitag, die unverhoffte Gelegenheit, dem öden Fahrschulbetrieb für einige Stunden zu entrinnen, und das gute
Mittagessen, das er sich in Waldsassen auf Kosten der Firma Bauersfeld leistete, hatten seine Stimmung
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