Achtung Kurven
hundert Köpfe zu vermehren. Heinz Herold jagte der Gedanke an seine Zukunft Schauder über den Rücken. Er empfand seine Tätigkeit nicht als Beruf. Es war ein Job und ein recht anstrengender und stumpfsinniger dazu. Man konnte von dem Job leben, und eine Weile hatte ihm das auch genügt. Aber seit längerer Zeit beschäftigte ihn die Frage, wie das mit ihm weitergehen solle, immer häufiger, und der Traum, eines Tages ein eigenes Unternehmen zu gründen, rückte in immer weitere Ferne. Denn selbst, wenn er sein Sparprogramm eisern fortsetzte, war es höchst fraglich, ob er mit 45 oder 50 Jahren noch Schwung genug besaß, sich in das risikoreiche Abenteuer der Selbständigkeit zu stürzen.
Rothe hätte er nie eingestanden, wie nahe er daran gewesen war, sich auf die Anzeige tatsächlich zu melden. Wenn er es schließlich doch unterließ, so geschah es einmal, weil es ihm gegen den Strich ging, seine zukünftige Frau durch die Zeitung kennenzulernen. Und dann stieß er sich auch am Text der Anzeige. Denn was hieß es schon, wenn die Mutter für ihre Tochter einen passenden Ehegefährten suchte? Das hieß doch, daß nicht nur Alter, Beruf, äußere Erscheinung, Charakter und Temperament zueinander passen sollten, sondern auch, daß in den finanziellen Verhältnissen der Partner kein allzu großer Riß klaffen durfte. Und das war genau das, was Rothe mit dem Prinzgemahl gemeint hatte. Gewiß, um in Rothes Jargon zu reden, hatte er elftausend Hühnerchen im Stall, aber dieses Korsett war zu schwach, um den Rücken wirklich zu stützen.
Er starrte minutenlang auf den Zeitungsausschnitt, als erwarte er von den fünf Druckzeilen Antwort auf die Frage, ob die Anzeige wirklich Marianne Schütz betraf. Es war möglich, aber es war nicht sicher. Sicher war nur eines, daß Frau Schütz — wenn sie die Verfasserin der Anzeige war — das Geld dafür umsonst ausgegeben hatte, denn die Tochter machte sich von dem Mann, den sie 9ich wünschte, ihre eigenen Vorstellungen...
Es wurde eine turbulente Woche. Der Chef fehlte an allen Ecken und Enden. Da er hauptsächlich die Kursteilnehmer für den Führerschein der Klasse II unterrichtet hatte, mußten Rothe und Herold zusätzlich auch noch den Unterricht am Lkw übernehmen. Mit dem theoretischen Unterricht, in den sie sich teilten, machten sie täglich bis zu vierzehn Stunden Dienst.
Als Frau Bauersfeld Rothe am Ende der Woche wegen eines Vorfalls zur Rede stellte, platzte ihm der Kragen.
»Und jetzt will ich Ihnen mal etwas erzählen«, sagte er zu ihr, zitternd vor Wut. »Wenn Sie innerhalb von acht Tagen für den Chef keinen Ersatz auftreiben, haben Sie mich am nächsten Mittwoch zum letztenmal gesehen. Adieu!« und er stelzte mit hörbar schnappender Prothese zur Tür und knallte sie hinter sich zu.
»Wollen Sie mir auch ein Ultimatum stellen, Herr Herold?« fragte die Chefin ziemlich kleinlaut.
»Vorläufig nicht«, antwortete er freimütig, »und ich glaube auch nicht, daß es Herr Rothe allzu ernst gemeint hat. Aber vierzehn Stunden täglich gehen auch mir in die Knochen und auf die Nerven, obwohl ich fast zwanzig Jahre jünger als Rothe bin und zwei gesunde Beine habe. Er klagt nicht, aber ich weiß, daß er seit einer Woche elende Schmerzen hat.«
»Ich sehe es ja ein«, murmelte sie, »aber herzaubern kann ich den dritten Mann auch nicht.«
»Wie geht’s dem Chef?«
»Leider gar nicht gut...«
»Darf er Besuche empfangen?«
»Daran ist vorläufig nicht zu denken.«
»Sagen Sie ihm, bitte, daß ich ihm baldige Besserung wünsche.«
»Ich werde es ihm ausrichten.«
Er ging mit einem Gefühl der Erleichterung davon. Es war seit jenem Abend das erstemal gewesen, daß er ihr allein gegenüberstand. Sie hatte die peinliche Situation geschickt überspielt und getan, als ob es zwischen ihnen nie etwas gegeben hätte.
Am Freitag schickte die Fahrschule Bauersfeld sieben Kursteilnehmer in die Prüfung. Der theoretische Teil fand im großen Unterrichtsraum statt. Nicht nur die Kandidaten, sondern auch die beiden Fahrlehrer atmeten auf, als an Stelle von Ingenieur Schindler Herr Notthaft erschien, ein junger Mann, der es auch sehr genau nahm, der aber wenigstens liebenswürdige Umgangsformen besaß. Aber die Hoffnung schwand rasch, als Herr Notthaft bedauernd erklärte, daß der praktische Teil der Prüfung von Herrn Schindler besorgt werde. Es war üblich, den Ingenieur von seiner Dienststelle abzuholen und auch wieder zurückzufahren. Sonst holte Rothe Herrn
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