Achtung Kurven
ein guter Beobachter. Und der Futterneid hat mir den Blick nicht getrübt, im Gegenteil. Sie wären ein Idiot, wenn Sie Ihre Chance nicht wahrnähmen! Das ist kein Flachs, sondern das sage ich Ihnen ausnahmsweise in vollem Ernst.«
»In einem anderen Anfall von Ehrlichkeit haben Sie ganz anders geredet — und das ist noch gar nicht lange her.«
»Theorie und Praxis sind zwei Paar Stiefel. Das eine Paar sieht recht elegant aus, aber man holt sich darin Hühneraugen. Im ändern marschiert es sich bequemer. Aber daran glaubt man nicht, wenn man noch solch ein junger Hund ist wie Sie...«
Er kam nicht dazu, Heinz Herold aus dem reichen Born seiner Lebenserfahrungen weiter zu erquicken. Frau Bauersfeld hatte die letzten Gäste hinauskomplimentiert und ihre Mutter in ein anderes Zimmer verfrachtet.
»Ich danke Ihnen für alles, was Sie in den letzten Tagen für mich getan haben, meine Herren«, sagte sie und schenkte Cognac in drei Schwenkgläser ein. Sie hob ihr Glas Rothe und Herold entgegen und kippte es mit männlichem Schwung in die Kehle.
»Auf Ihr Wohl, Frau Bauersfeld!« sagte Rothe. »Und ich kann Ihnen auch im Namen des Kollegen Herold versichern, daß Sie sich auf uns auch in Zukunft verlassen können.«
Sie warf den Kopf hoch: »Ich danke Ihnen! Der Betrieb geht morgen weiter. Und wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie mich morgen nicht mehr in Schwarz sehen.«
»Es steht Ihnen aber fabelhaft«, murmelte Rothe.
»Es war der ausdrückliche Wunsch meines Mannes, keine schwarze Witwe zu hinterlassen. Wenn der schwarze Schleier das einzige Zeichen von Trauer ist, das du zu bieten hast, sagte er, als er merkte, daß es mit ihm zu Ende ging, dann laß es bleiben. — Ich will Ihnen gar nichts vormachen, besonders Ihnen nicht, Herr Rothe, dazu hatten Sie in die Verhältnisse des Hauses zu lange Einblick. Vorläufig empfinde ich weder Trauer noch Verlust. Ich hätte dem Dicken gern ein langes Leben gegönnt. Nun, es ist vorbei. Aber ich bin gar nicht davon überzeugt, daß ich eines Tages nicht doch noch das heulende Elend kriege. Meine Mutter ist eine einfache Frau, und mein Vater war ein ausgesprochener Taugenichts, der früher jedem Kittel nachlief und den ich als ewig betrunken in Erinnerung habe. Als er starb, dachte ich, die Mutter würde aufatmen. Nun sei doch froh, daß du ihn los bist, sagte ich. Und wissen Sie, was sie mir antwortete? Ja, Lottchen , jetzt bin ich ihn los, und er war ein Teufel, ein richtiger Teufel, aber ich will dir mal etwas sagen: lieber mit dem Teufel verheiratet als dem Teufel seine Witwe. Da bist du nämlich überhaupt nichts mehr.«
Rothe, sonst schnoddrig und zynisch, hing mit hingerissenem Ausdruck an ihrem Gesicht. Die Offenheit, mit der Charlotte Bauersfeld über ihre Ehe und ihre Gefühle sprach, schien ihn mächtig zu beeindrucken.
»Daß mein Mann geschäftstüchtig war, wissen Sie beide so gut wie ich«, sagte sie mit veränderter Stimme. »Ich werde es nicht leicht haben, den Betrieb weiterzuführen. Vier Wagen müssen laufen, wenn er rentabel bleiben soll. Ich habe inzwischen zwei Bewerbungen bekommen. Einer von den beiden Herren macht einen recht zuverlässigen Eindruck. Er tritt die Stellung übermorgen an. Er wird den Lkw übernehmen.«
»Und wer übernimmt den theoretischen Unterricht?« fragte Rothe.
»Sie werden sich vorläufig, bis wir zu einer besseren Lösung kommen, zu dritt darin teilen müssen. Wenn wir die Kurse nur noch zweimal wöchentlich geben, hat immer einer von Ihnen eine freie Woche, oder zwei freie Wochen, wenn Sie sich von Woche zu Woche ablösen.«
Rothe und Herold nickten zustimmend.
»Das war es, was ich Ihnen sagen wollte, meine Herren. Wenn ich nicht noch eine Menge zu tun hätte, würde ich Sie bitten, zu bleiben. Ich könnte heute selber noch einen Schluck vertragen. Aber leider...« Sie griff nach ihrer Handtasche und zog zwei Umschläge heraus, von denen sie einen Rothe und den anderen Herold überreichte: »Nehmen Sie es bitte an, es ist eine kleine Erkenntlichkeit für Ihre Hilfe in diesen Tagen.«
Rothe schlitzte den Umschlag schon auf der Treppe auf und fischte zwei Hundertmarkscheine heraus.
»Donnerwetter! Zweihundert Hühnerchen . Das nenne ich generös. Was sagen Sie dazu, Herold? Gehen wir einen zwitschern?« Ihm schien der unerwartete Reichtum in der Tasche zu brennen.
»Nein, danke, mir klebt jeder Faden am Leibe. Ich gehe heim und lege mich für zwei Stunden aufs Ohr.« Er hatte wirklich das Gefühl, er könne sein
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