Achtung Kurven
Glas, das soeben erst frisch gefüllt worden war, vorzeitig absetzen.
»Rest weg! habe ich gesagt«, kommandierte Rothe scharf, und es gab nicht den geringsten Zweifel, daß er bereit war, jedem den Schädel einzuhauen, der seiner Aufforderung nicht augenblicklich nachkam.
Heinz Herold brachte ihn kurz nach zwölf heim, er hatte seine Mühe mit ihm, denn Rothe ging mit schwerer Schlagseite und wollte durchaus das Lied von der alten Garde singen, die ihren Kaiser liebt. Seine Prothese knallte auf das Pflaster, denn zu Ehren des Chefs wollte er im Stechschritt heimmarschieren .
»Ein Jammer, daß der Chef das nicht erlebt!« flüsterte Rothe vier Tage später Heinz Herold hinter der vorgehaltenen Hand zu, als sie in einem Trauerzug von mehr als dreihundert Personen dem Sarg mit den sterblichen Überresten Paul Bauersfelds folgten. Der Kriegerverein, eine Abordnung seines alten Panzerregiments, sämtliche Fahrschulinhaber, deren zweiter Vorsitzender er gewesen war, viele seiner ehemaligen Schüler, Dutzende von Stammtischbrüdern und Wirte, Wirte, Wirte gaben ihm die letzte Ehre und das letzte Geleit. Und sie alle, vom >Johanniter< und von der >Bastei<, von der >Krone<, vom >Adler<, von der >Goldenen Gans<, vom >Grünen Baum< und von der >Linde<, von der >Karthause< und vom >Anker<, sie alle folgten dem Sarg in ehrlicher Trauer, denn Gäste wie Paul Bauersfeld hinterließen nicht nur eine empfindliche Lücke am Stammtisch, sondern auch in der Kasse.
Die Witwe Bauersfeld, tief verschleiert, betupfte mit einem schwarzgesäumten Spitzentüchelchen die Augen, wenn ein neuer Redner des Verblichenen Vereinstreue, Kameradschaftsgeist und Opferbereitschaft pries. Sie drückte stumm und ergriffen Hunderte von Händen und ordnete, bevor sie sich zwischen den Herren Rothe und Herold zu dem auf Hochglanz polierten Mercedes geleiten ließ, die breite Seidenschleife an ihrem prächtigen Kranz aus roten und weißen Rosen. Dort stand in silbernen Buchstaben auf schwarzem Grund zu lesen: Ruth 1 V. 21. Nicht einmal dem Pfarrer fiel es auf, daß es sich bei dieser Inschrift um einen peinlichen Druckfehler handelte. Das Beerdigungsinstitut hatte den Wunsch von Frau Bauersfeld telefonisch an die Druckerei durchgegeben: Ruth 1 V. 17 — »Der Tod muß mich und dich scheiden.« Der 21. Vers aber lautet: »Voll zog ich aus, aber leer hat mich der Herr heimgebracht.« — Die Stammtische lachten noch wochenlang über diesen makabren Scherz.
Heinz Herold fuhr die Witwe heim. Rothe saß neben ihm. Hinten schlug Frau Bauersfeld den Schleier zur Seite und zündete sich eine Zigarette an. Den wenigen Verwandten, die sich eingefunden hatten, gab sie in der Wohnung einen kleinen Imbiß , zu dem auch Rothe und Herold geladen waren. Zu den kalten Platten, die ein Hotel geliefert hatte, gab es einen leichten Mosel und Bier. Die meisten Gäste gingen bald, nur die Verwandtschaft erwartete noch eine Kaffeetafel.
»Bleiben Sie noch«, sagte Frau Bauersfeld, als auch Rothe und Herold sich verabschieden wollten. Sie sah, nachdem sie den Hut mit dem langen und dichten Schleier abgelegt hatte, einfach blendend aus. Ihr kupfernes Haar leuchtete über der blassen Stirn, Lippen, Wimpern und Brauen trugen dezente Farben, aber das enge, hochgeschlossene Kleid mit einer dichten Reihe mattschimmernder Jadeknöpfe auf dem Rücken brachte ihre üppige Figur erst recht zur Wirkung.
Heinz Herold trug einen dunkelgrauen Zweireiher. Es war ein Flanellanzug, und er kam sich bei der Tagestemperatur von 30 Grad im Schatten wie ein Jockei vor, der fünf Kilo Übergewicht loswerden mußte. Rothe, ganz in Schwarz, sah wie der Oberkellner eines drittklassigen Hotels aus. Er war Mitglied zahlloser Vereine und hatte fast jede Woche an einer Beerdigung teilzunehmen. Allerdings bevorzugte er Trauerfeiern, bei denen die Leiche tüchtig unter die Erde gespült wurde.
Sie hatten sich in eine Ecke des Wohnraumes verdrückt und labten sich an einem kühlen Bier.
»Na, dann Prost, Herold«, sagte Rothe und schielte über Herolds Schulter zu Frau Bauersfeld hinüber, die ihrer Mutter die dritte Tasse Kaffee einschenkte.
»Sie ist eine Wucht«, stellte er mit dem kritischen Blick des Frauenkenners fest, »und wenn ich bei ihr auch nur die geringste Chance hätte, ich würde sie nützen...« Sein Blick glitt über die Polstermöbel und über den dicken Perserteppich... »und zwar nicht nur wegen dieses üppig gepolsterten Nestchens. — Sie haben die Chance, Herold. Ich war immer
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