Achtung Kurven
Hemd auswringen, und außerdem taten ihm von dem langen Stehen auf dem Friedhof die Füße erbärmlich weh. Aber dann fiel ihm ein, daß er den freien Nachmittag besser nutzen konnte.
»Wissen Sie was, Rothe, ich gehe zum Schwimmen. Kommen Sie mit?«
»Nein, Herold, ich feuchte mich innerlich an.«
»Sie sollten Ihrer armen Leber mal ein wenig Ruhe gönnen!«
»Wer gönnt mir Ruhe?« grinste Rothe. »Soll es meine Leber besser haben als ich?« Er tippte an den Hutrand und hinkte zum >Roten Ochsen< davon.
In seiner angenehm kühlen Bude hängte Heinz Herold den Flanellanzug auf den Bügel und nahm seine Shorts und ein weißes, kurzärmeliges Sporthemd aus dem Schrank. Der pompöse Präsentkorb von Frau Jossa stand unberührt in einer Ecke. Allein schaffte er es nicht, ihn leer zu machen, Rothe war kein Partner für eine Freßorgie und sonst wußte er niemand, den er hätte einladen können.
Die beiden Hunderter, die auch er in seinem Briefumschlag gefunden hatte, versteckte er unter seiner Wäsche. Rothe, der nun seit sechs Jahren für die Fahrschule arbeitete, mochte das Geschenk in dieser Höhe zukommen. Für seine halbjährige Tätigkeit war die gleiche Summe entschieden zu hoch. Die beiden Hunderter bedeuteten für ihn eine Verpflichtung — und das sollten sie wohl auch sein. Sie belastete ihn nicht, wenn die Chefin damit den Fahrlehrer Herold für die Zukunft an den Betrieb binden wollte. Aber er wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, daß sie mit ihrer Großzügigkeit andere Absichten verband.
Rothes unverblümte Anzapfungen gingen ihm nicht aus dem Sinn. Bot sich ihm hier wirklich nicht eine einmalige Chance, ein in jeder Hinsicht üppig gepolstertes Nestchen zu beziehen? Da war das Haus mit den Nebeneinnahmen von vier Mietparteien, da war die komfortabel eingerichtete Wohnung, da war die Fahrschule, von deren Betrieb er etwas verstand, und da war Charlotte Bauersfeld, ein paar Jahre älter als er, aber ihm an Erlebnishunger und Temperament zehnfach überlegen...
Er ließ das Waschbecken vollaufen und tauchte, bevor er in die Sandalen schlüpfte, die brennenden Füße in das frische Wasser. Und wieder einmal begegnete er sich dabei im Spiegel.
»Na, Herold«, sagte er und sah sich prüfend an, »du wirst doch nicht behaupten wollen, daß die Dame reizlos ist. Ganz im Gegenteil! Und was hindert dich nun — nachdem die andere dich wie einen alten Putzlumpen in die Ecke gefeuert hat —, die neue Chance zu nutzen? Ich will es dir sagen: weil es gar keine Chance ist. Denn die Witwe Bauersfeld denkt auch nicht im Traum daran, in dir mehr zu sehen als einen kleinen Zeitvertreib. Du wirst dir vielleicht eines Tages einbilden, Ansprüche zu besitzen, und sie wird dir sehr deutlich klarmachen, daß du ein Würstchen bist und überhaupt nichts zu melden hast. Und dann wird sie dich in hohem Bogen ‘rausschmeißen. Und das ist dann das Ende des Minnesanges. Also gibt es für dich nur eines: laß die Finger von der Dame!«
»Und was geschieht, wenn die Dame die Finger nicht von dir läßt?« —
Der Tag war für die Lösung solch schwieriger Probleme zu heiß. Er rollte die Badehose in ein Handtuch und fuhr ins Bad hinaus.
In Kirst lief um die Zeit, als Heinz Herold im Volksbad auf den Sprungturm kletterte, Marianne Schütz zum Briefkasten, der an der Omnibushaltestelle neben dem >Straußen< angebracht war. Tilly Sauter , die in der Bügelstube am offenen Fenster saß und Hotelwäsche ausbesserte, winkte ihr zu, hereinzukommen und ihr für eine kleine Weile Gesellschaft zu leisten.
Natürlich war Tilly über die Entwicklung des Falles Herold in allen Einzelheiten unterrichtet, nur war es zum erstenmal in der langen Freundschaft der Mädchen zwischen ihnen zu temperamentvoll geäußerten Meinungsverschiedenheiten gekommen.
»Daß du ihn einfach an die Luft gesetzt hast...!«
»Geben Sie Ihre Phantasie in die chemische Reinigungsanstalt«, sagte Marianne vor Empörung kochend, »das mir!«
»Weshalb bist du eigentlich so fest davon überzeugt, daß er mit seiner Chefin was hat?«
»Du hättest sie erleben müssen — wie ‘ne Katze, die auf Mäusejagd geht... Und du hättest ihn erleben müssen, wie er sich vor ihr versteckte! Es war einfach ekelhaft. Er verkroch sich förmlich hinter mir. Und dann die faulen Ausreden. Das stank ja richtig gen Himmel!«
»Er kann hundert Gründe gehabt haben, ihr nicht begegnen zu wollen.«
»Ach was! Er hatte einfach Angst, daß sie ihn in meinem Wagen entdecken
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