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Achtung Kurven

Achtung Kurven

Titel: Achtung Kurven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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und starrte auf das Blumenmuster des billigen und schon ziemlich abgetretenen Teppichs.
    »Er redete immer davon, daß er bremsen werde, wenn er den ersten Warnschuß vor den Bug bekäme. Das habe ich jahrelang dreimal täglich gehört. Und wenn ich ihm sagte, daß der Warnschuß bei ihm und seiner Art zu leben sehr leicht ein Volltreffer werden könnte — wissen Sie, was er mir dann antwortete?«
    Heinz Herold hob stumm die Schultern.
    »Er ging an den Eisschrank und fraß ihn leer! Das war seine Antwort.« Sie zerstampfte die kaum angerauchte Zigarette im Aschenbecher und griff im nächsten Augenblick zu einer neuen: »Wollen Sie auch eine?«
    »Nein danke, ich rauche ohnehin zuviel.«
    »Ich weiß, daß der Betrieb Sie und Herrn Rothe überfordert«, sagte sie mit einer hilflosen Geste. »Ich war bis vor einer halben Stunde bei ihm. Der Professor hat mich heimgeschickt. Mein Mann erkannte mich nicht mehr.«
    Sie ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in den Drehsessel fallen. Sekundenlang preßte sie die Fingerspitzen gegen die Schläfen.
    »Es ging ihm schon heute nachmittag nicht mehr gut. Ich glaube, er wußte, was ihm bevorstand. Als der Professor ihn mit den üblichen Witzchen zu beruhigen versuchte — immer die alte blöde Redensart von Wein, Weib und Gesang, und daß er sogar beim Singen vorsichtig sein müsse —, da drehte er sich zur Seite und sagte: Wissen Sie, was Sie mich können, Herr Professor? Und dann sprach er es ganz laut und deutlich aus! Irgendwie hat es mich beeindruckt...«
    »Der Chef hat aus seinem Herzen nie eine Mördergrube gemacht — auch Professoren gegenüber nicht.«
    »Und so verrückt, wie er lebte, hat er auch gearbeitet. Den Wagen, mit dem er seine Fahrschule aufmachte, hat er aus Ersatzteilen und alten, ausgeschlachteten Schlitten selber zusammengebastelt. Und der erste Lkw, mit dem er gleich nach dem Kriege nebenher ein Transportunternehmen auf zog, entstand auf die gleiche Weise. Das war vor mehr als zwanzig Jahren. Ich lernte ihn vor vierzehn Jahren kennen. Er war ein Draufgänger, von dem man als Mädel träumt. Und er war ein bildsauberer Mann. Verrückt war er damals schon, aber seine verrückten Touren imponierten mir. Hoppla, jetzt komm ich! Einmal schmiß er einen Lümmel, der mir den Reißverschluß von meinem Kleid aufmachte, durch eine dicke Glastür auf die Straße, er packte ihn und feuerte ihn wie einen Kartoffelsack einfach durch die Tür!«
    Warum erzählt sie mir das alles? dachte Herold nervös.
    Sie fegte mit der flachen Hand über den Tisch.
    »Vorbei... Der Professor sagte zu mir, als er sich verabschiedete: Hoffen Sie, daß es mit ihm rasch zu Ende geht. Es wäre ein Unglück für ihn, wenn er durchkäme, denn...«
    Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Das Telefon läutete. Die elektrische Uhr über dem bunten Wochenkalender zeigte genau zehn Uhr dreißig. Herold hatte das Gefühl, seit dem abrupten Abschied von Marianne seien Stunden vergangen.
    »Der Oberarzt hat mir gesagt, er würde nur anläuten, wenn es mit ihm zu Ende ginge.«
    »Der Anruf muß ja nicht unbedingt aus dem Krankenhaus kommen...«
    »Ich erwarte um diese Zeit keinen Anruf. Bitte, Herr Herold, nehmen Sie ab! Und sagen Sie, ich wäre zu meiner Mutter gefahren!«
    Er hob den Hörer ab: »Hier Fahrschule Bauersfeld...« und die Sprechmuschel abdeckend: »Das Krankenhaus — Oberarzt Dr. Neuss...«
    Sie stopfte sich die Ohren zu, als ertrüge sie es nicht mehr, und schüttelte den Kopf.
    »Frau Bauersfeld ist bei ihrer Mutter... Nein, sie ist dort telefonisch nicht zu erreichen. Kann ich ihr etwas ausrichten? — Ja, natürlich habe ich einen Wagen...«
    Er legte den Hörer auf den Apparat zurück und senkte den Kopf.
    »Er ist tot«, sagte sie und schloß die Augen.
    »Ja, vor zehn Minuten — ein neuer Anfall. Er war nicht zu retten.«
    Heinz Herold trat einen kleinen Schritt näher...
    »Seien Sie still!« sagte sie heftig. »Sagen Sie kein Wort! Kein Wort des Beileids. Ich brauche kein Mitleid, und ich brauche kein Bedauern. Ich brauche jetzt keine Redensarten, sondern ich brauche Hilfe. Wirkliche Hilfe!«
    Sie sah ihn aus tränenlosen, klaren Augen an. Es war ein prüfender und ein fordernder Blick: »Ich will die Fahrschule, die er aufgebaut hat, erhalten und weiterführen. Wollen Sie mir dabei helfen, Herr Herold?«
    »Ja — natürlich!« antwortete er ein wenig abgeschnürt. Im gleichen Augenblick, in dem er die Todesnachricht empfangen hatte, waren ihm die Angebote

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