Achtzig Gedichte
Trakl ist unverkennbar. Und dennoch: die Schwermut, aus der die Blumen Trakls wachsen, ist nicht bloÃe abgeschaute Pose, sie ist authentisch, leidvolle Wirklichkeit. Dies verbürgt nicht zuletzt die düstere Lebensgeschichte dieses Dichters. Wie eng bei ihm Leben und Werk verknüpft sind, das zeigt â auf geradezu beklemmende Weise â das frühe Sonett
Das Grauen.
Beim Blick in den Spiegel erkennt der Dichter in seinem Ebenbild den Brudermörder Kain, seinen eigenen Mörder:
Da bin mit meinem Mörder ich allein.
Die hier gestaltete Selbstmordphantasie kehrt im späteren Werk oftmals wieder, nimmt auch das Kaspar-Hauser-Motiv vorweg; sie wird schlieÃlich zur schrecklichen Wirklichkeit. Der Schatten des Todesengels Azrael liegt über dem gesamten Werk Trakls und über seinem kurzen Leben.
Umdüstert von Dämmerungen
war schon die Kindheit des Dichters. Geboren am 3. Februar 1887 in Salzburg, wächst GeorgTrakl im Kreis von sieben Geschwistern äuÃerlich wohlbehütet auf. Der Vater ist wohlhabender Kaufmann, betreibt eine Eisenwarenhandlung, und so lebt die Familie nach groÃbürgerlichen MaÃstäben, mit Dienstpersonal und französischer Gouvernante. Die Mutter selbst kümmert sich wenig um ihre Kinder; in unglücklicher Ehe lebend, findet sie Tröstung bei der Droge, Glück nur bei ihrer Antiquitätensammlung: tagelang schlieÃt Maria Trakl sich in ihre Zimmer ein. Herbstlich kühl ist es schon im Frühling, in der Kindheit Georg Trakls; schmerzlich vermiÃt das Kind die Liebe und die Wärme der Mutter, emotionale Geborgenheit. Hier bereitet sich sein lebenslanges Fremdlingsdasein schon vor. Wenn wir im Gedicht
Sebastian im Traum
einem Knaben begegnen, der am Herbstabend
an der frierenden Hand der Mutter
über den Friedhof geht und Leichen betrachtet, so mag diese gespenstische Szene erahnen lassen, welche Düsternis sich bereits in der Seele des Kindes ansammelte. Schon im Knabenalter suchte Trakl den Tod im Wasser; eine Passage des gleichen Gedichts spielt auf diesen biographisch bezeugten Vorfall an:
Also dunkel der Tag des Jahrs, traurige Kindheit,/Da der Knabe leise zu kühlen Wassern, silbernen Fischen hinabstieg â¦
Vielfach finden sich in Trakls Dichtung solche autobiographischen Elemente. Dennoch sind, wie bei Goethe,
Dichtung
und lebensgeschichtliche
Wahrheit
nicht einfach gleichzusetzen. Auch die Muttergestalt, die in Trakls Gedichten so häufig auftritt, ist mit ihrem realen Vorbild nicht zu verwechseln. Sie ist eine Phantasiefigur, in der sich Züge der Maria Trakl mischen mit anderen Elementen, vor allem mit den Zügen einer anderen Maria, der Jungfrau, der Madonna im
blauen Mantel.
Diese erdichtete Mutter ist eine schillernde, eine variable Gestalt; trägt sie das eine Mal abweisende, beängstigende Züge (etwa ein
steinernes Antlitz
), erscheint sie ein andermal als häÃliche Hure, so tritt sie in einem anderen Zusammenhang auf als gute Mutter, als ideales Wunschbild. Widersprüchlichste Gefühle zieht dieseMutter auf sich, Verehrung, HaÃ, sinnliche Begierde. Ganz erfassen läÃt sich die Bedeutung des Mutter-Themas in Trakls Dichtung aber erst, wenn man nach und nach gewahr wird, daà auch einige seiner Liebslingsmotive â die Natur, die Nacht, das Wasser â immer wieder mütterliche Züge tragen. Wird die Mutter etwa als
nächtige Gestalt
bezeichnet, so tritt andererseits die Nacht im
blauen Mantel
auf. Als «Spinner, der alles blau sieht», galt der junge Dichter bald schon der Familie; von sich selbst behauptete er, er habe bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr auÃer dem Wasser eigentlich nichts wahrgenommen, überhaupt sei er erst halb geboren.
Ruhig wohnte die Kindheit in blauer Höhle
, schreibt Trakl in seinem Gedicht
Kindheit.
Ist es nicht die Sehnsucht nach Geborgenheit in dieser
blauen Höhle
, die den fiktiven Knaben Sebastian â und den realen Knaben Georg â dazu bringt, hinabzusteigen ins Wasser? Suchen nicht beide nach einer Geborgenheit, die die Mutter mit ihrer
frierenden Hand
nicht zu geben vermag? Aus dieser unerfüllten Sehnsucht des Kindes erwuchs dann wohl auch die Sucht, der Trakl im frühen Jugendalter erlag: die Droge wurde sein ständiger Begleiter, bis hin in die Zelle im Krakauer Garnisonsspital.
Eine zweite weibliche Gestalt steht in der Dichtung Trakls neben der Mutter, eine
schmale Gestalt
, ein
blaues
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