Achtzig Gedichte
Garnisonsspital Krakau eingewiesen â «zur Beobachtung seines Geisteszustandes». Die Ãrzte sahen den Dichter als Geisteskranken, diagnostizierten eine «Dementia Praecox», Schizophrenie. In seiner Zelle im psychiatrischen Trakt des Spitals nahm sich der siebenundzwanzigjährige Dichter am 3. November 1914 durch eine Ãberdosis Kokain das Leben.
An schaurigen Riffen/Zerschellt der purpurne Leib
: diese Verse sind gesprochen im Angesicht des Todes.
Zwei Prosagedichte, die Trakl Anfang 1914 verfaÃt hatte, tragen die Titel
Traum und Umnachtung
und
Offenbarung und Untergang.
In beiden Gedichten finden sich Bilder von Wahnsinn und Selbstmord. Die Nacht, deren Bild im Gedicht
Klage
den SchluÃpunkt setzt, kündigt sich lange vorher schon an; ihr Dunkel liegt bereits über dem zwischen 1904 und 1909 entstandenen Jugendwerk Trakls, aus dem der erste Zyklus dieser Anthologie eine kleine Auswahl vorstellt. Diese Nacht kündigt sich schon an in dem einleitenden Gedicht
Verfall.
Trakl hat dieses ursprünglich mit
Herbst
überschriebene Sonett aus seiner zu Lebzeiten nie publizierten Gedichtsammlung von 1909 mit neuem Titel, im Wortlaut kaum verändert, in seinen ersten gedruckten Gedichtband von 1913 aufgenommen. In den beiden Quartettendieses Sonetts wird zunächst eine friedvolle Abendidylle entworfen, die dann, im Ãbergang zu den Terzetten, jäh zerstört wird:
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Ein kalter Wind streicht durch den herbstlichen Garten, ein Todeshauch â es ist der Schatten Azraels, der die Szenerie verdüstert. Der Träumer erwacht aus seiner Versunkenheit und nimmt die Wirklichkeit wahr, die ihn umgibt, den Verfall, den Totentanz der verwelkenden Blumen. Schmerzlich klar wird ihm jetzt, was an diesem Herbstabend zeitlich bevorsteht: eine Nacht und ein Winter â die Nacht des Todes. Die Klage der Amsel â weist nicht auch sie schon voraus auf die
Klage
des Dichters im Herbst 1914?
Das Sonett
Verfall
ist ein Schlüsselgedicht im Werk Trakls. Der herbstliche Garten bleibt nicht nur ein ständig wiederkehrendes Motiv des Dichters, er ist geradezu das Modell der von ihm gestalteten Welt, der poetischen Landschaft, die sich in den nachfolgenden Gedichten entfaltet. Trakls Gedichtband von 1913 trugt zunächst den Titel
Dämmerung und Verfall.
«Ich glaube, daà er alles Wesentliche ausdrückt», schrieb Trakl an seinen Verleger Kurt Wolff. Kaum einmal fehlt in einem Trakl-Gedicht der Hinweis auf die für diesen Dichter so charakteristische Tages- und Jahreszeit:
Septemberabend; traurig tönen die dunklen Rufe der Hirten/Durch das dämmernde Dorf â¦
Zwar steht der Herbst bei Trakl nicht nur unter negativem Vorzeichen, als die Zeit des Verfalls; er erscheint auch als die Zeit bunter Farbenpracht, als Erntezeit
voll Frucht und Fülle
â als Zeit, in der auch der Dichter seine Früchte trägt. Aber auch in den eher idyllischen Herbstbildern Trakls ist stets die Nähe des Todes spürbar. So klingt das Gedicht
Verklärter Herbst
aus mit der Zeile:
Das geht in Ruh und Schweigen unter.
Das Verfallsmotiv des Eingangsgedichts ist auch als Keimzelle der ganzen Bilderwelt des HäÃlichen zu begreifen, mit der sich der Leser bei Trakl konfrontiert sieht:
Vom lauen Himmel Spatzen stürzen/In grüne Löcher voll Verwesung.
Wie ein Kommentarzum Sonett
Verfall
liest sich das Gedicht
Confiteor
, in dem der junge Dichter bekennt, er sehe das Leben
umdüstert nur von Dämmerungen.
Im benachbarten Sonett
Dämmerung
präsentiert sich ihm eine
entgötterte
Welt als
Hure, häÃlich, krank, verwesungsfahl.
An diese frühen Verse wird man sich zu erinnern haben, wenn man bei der Lektüre von späteren Gedichten wie
Vorstadt im Föhn
oder
Die Ratten
nach dem Sinn des nunmehr kommentarlos vor Augen geführten HäÃlichen fragt.
Nun ist Manches in den Jugendgedichten Trakls freilich auch rhetorische Geste, aus der lyrischen Tradition übernommenes Motiv. Wenn Trakl etwa in
Dämmerung
seine Verse als
kranke Blumen der Schwermut
bezeichnet, so weist diese Formulierung auf das groÃe Vorbild des jungen Dichters, auf die
Fleurs du Mal
von Baudelaire. Langeweile, LebensüberdruÃ, Melancholie â das waren bevorzugte Themen des französischen Dichters, der ja auch als Entdecker des HäÃlichen für die Lyrik gilt. Sein Einfluà auf Motivik und Tonfall des jungen
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