Ackermann tanzt
unbedingt zu einem Pflichtbesuch bei seiner Schwiegermutter überreden und danach war ihm nun wirklich nicht zumute gewesen. Von da an hatte Marion mal wieder unter »schrecklichen Kopfschmerzen« gelitten. Anna war die übliche Pest gewesen. Sie hatte sich wie immer nicht an die Abmachungen gehalten, die sie erst vor vierzehn Tagen zum hundertfünfundzwanzigsten Mal durchgekaut hatten. Sie hatte weder ihr Zimmer aufgeräumt noch den Müll rausgebracht. Aber mit dem dann ausgesprochenen Hausarrest hatte sich van Appeldorn eigentlich nur ins eigene Fleisch geschnitten. Am Sonntagabend war er durch das unablässige Techno-Gerumse aus ihrem Zimmer und von Marions Genörgel, er sei sowieso immer viel zu streng mit den Mädchen, so mürbe gekocht, dass er Anna schließlich doch noch zu diesem Scheunenfest hatte gehen lassen und dann noch nicht einmal kontrolliert hatte, ob sie pünktlich nach Hause gekommen war.
Er kam gleichzeitig mit Ackermann am Präsidium an und dessen fröhliches Geschnatter ging ihm dermaßen gegen den Strich, dass er ihm erst einmal deftig übers Maul fuhr. Ackermann blieb stehen und sah ihn an, ging dann aber schweigend weiter. Erst als sie im Flur waren, meinte er plötzlich ungewohnt ernst: »Vielleicht is’ et besser, wenn wir uns eine Weile aus ’em Weg gehen un’ ich in meine Abteilung abtauch’. Is’ doch sowieso nix zu tun. Bloß die dämliche Anzeige, die Weller leider nich’ zurückgezogen hat, oder seh ich dat falsch?«
Look hatte sie kommen sehen und wedelte mit einem Stück Papier. »Beklagt sich hier jemand über zu wenig Arbeit? Da kann ich Abhilfe schaffen. Hier, eine Vermisstenanzeige. Ist was für euch.«
Er erzählte von Giltjes und alles, was er über Björn und Andreas Kaufmann wusste, und das war nicht wenig.
Ackermann schüttelte bekümmert den Kopf. »Hört sich an wie ’n schlechter Krimi aus ’em Fernsehen. Aber okay, ich kann dat wohl machen.«
»Lass stecken, Ackermann.« Van Appeldorn nahm ihm die Anzeige aus der Hand. »Du kümmerst dich um Weller und die Kinder. Kannst du sowieso viel besser als ich.«
»Danke, Norbert. Hoffentlich hab ich meinen Rotstift dabei.«
Van Appeldorn stutzte.
»Na«, erklärte Ackermann. »Komplimente für mich aus deinem Mund, dat muss ich doch wohl im Kalender anstreichen, oder?«
Damit ließ er van Appeldorn stehen, ging hinauf ins Büro und machte sich eine Liste der Leute, mit denen er heute noch reden wollte. Als Erstes konnte er sich ja noch mal das Gebüsch angucken, in dem sie Gregor aufgemischt hatten, aber da war letztens schon nichts zu entdecken gewesen. Auf jeden Fall musste er bei den umliegenden Häusern klingeln und fragen, ob die Leute was beobachtet hatten. Und dann würde er mit den Eltern von diesen armen Würmern sprechen, die Gregor unter Druck gesetzt hatte, und mit deren älteren Geschwistern. Also, erst mal zu Frau Rouenhoff, Namen und Adressen besorgen.
Van Appeldorn war zuerst zu Giltjes gefahren, der auf dem Mittelweg wohnte. Das Mietshaus war wesentlich besser in Schuss, als er erwartet hatte, aber die Wohnung war ein Saustall. Man konnte nur ahnen, dass sie irgendwann einmal aufgeräumt und ordentlich und wahrscheinlich sogar gemütlich gewesen war.
Der alte Giltjes erzählte nichts Neues. Er war völlig von der Rolle, aber wenigstens war er nüchtern. Die Sache musste ihn wirklich mitnehmen. »Ich weiß nichts von Björns Freunden. Björn bringt nie welche mit.«
Van Appeldorn trommelte mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum. »Wissen Sie wenigstens, wie Björns Klassenlehrer heißt?« In der Schule würde er sicher mehr über den Jungen herausfinden als hier.
»Ja sicher! Mensch, wie hieß der doch noch mal?« Es dauerte Ewigkeiten, aber dann fiel es Giltjes doch noch ein. »Jansen!«
Der Lehrer wusste ungewöhnlich gut über seine Schüler Bescheid. »Björn ist immer ein eher schüchternes Kind gewesen, fast schon ängstlich. Er war nie auffällig, immer ein leiser, aber sehr wacher Schüler, an allem interessiert. Den Knacks hat er gekriegt, als seine Mutter die Familie verlassen hat. Das muss vor einem Jahr gewesen sein. Zu dem Zeitpunkt hat er sich Andy Kaufmann angeschlossen, was ihm sicher nicht gut getan hat. Andy ist Björns einziger Freund und er hat auch keine andere Wahl, denn Andy bewacht ihn eifersüchtig wie einen Besitz. Beide Jungen waren heute nicht in der Schule. Das kommt allerdings ziemlich häufig vor.«
»Dann werde ich wohl am besten zu Kaufmanns
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