Ackermann tanzt
verkrochen hat. Er hängt sehr an ihr. Aber die würde ihn ja wohl kaum vor der Polizei verstecken.«
Van Appeldorn grinste. »Bei ihr wäre ich mir da gar nicht so sicher, aber ihr neuer Lebensabschnittsgefährte würde das bestimmt nicht mitmachen. Sagen Sie mal, Sie haben sehr viele ausländische Kinder hier. Gibt das nicht jede Menge Ärger?«
»Viele? Na, dann gehen Sie mal in Meiderich oder Hamborn in die Schulen! Was meinen Sie mit Ärger? Ausländerfeindlichkeit? Nein, das ist nicht unser größtes Problem. Das Grundübel liegt woanders. Hier geht es eher nach dem Prinzip: jeder gegen jeden.«
»Aber warum ist das so?« Van Appeldorn wollte es wirklich wissen.
Jansen seufzte tief. »Wo soll man anfangen? Bei der Stigmatisierung der Hauptschüler heute, bei ihrer Chancenlosigkeit in der Berufswelt? Bei der Verrohung der Kinder durch Gewalt im Fernsehen und in Filmen? Für mich persönlich ist ein Hauptgrund der zunehmende Mangel an gewachsenen, selbstverständlichen sozialen Strukturen. Es gibt immer weniger intakte Familien. In Björns Klasse sind achtundzwanzig Schüler, nur vier davon leben mit ihren beiden Eltern zusammen. Und es ist doch heute gang und gäbe, schon die Dreijährigen stundenlang vor den Fernseher zu setzen oder sie mutterseelenallein irgendwelche Computerspiele spielen zu lassen. In Ein-Elter-Familien ist das manchmal auch kaum anders möglich. Wenn sie dann alt genug sind, werden sie auf die Straße rausgeschickt, damit sie zu Hause nicht stören. Aber dann sind sie meist schon gar nicht mehr in der Lage, mit anderen zu spielen. Lauter Einzelwesen, vereinsamt, mit emotionalen, sprachlichen, sozialen Störungen. Und wenn sie an die Schule kommen, werden sie ganz schnell zu Einzelkämpfern.«
»So kommen die mir gar nicht vor«, wandte van Appeldorn ein. »Ich habe heute eigentlich nur Gruppen zusammenglucken sehen.«
»Optische Täuschung. Es gibt kaum feste Gruppen, und wenn, dann läuft die Identifikation meist nur über die Abgrenzung zu den ›anderen‹. Und der Zusammenhalt ist sehr fragil, die Gruppenzugehörigkeiten wechseln, jeder kann blitzschnell ausgegrenzt werden. Wissen Sie, ich verbringe meine Zeit nur zu einem geringen Teil mit der Vermittlung von Unterrichtsinhalten. Dazu komme ich kaum. Ich bin gezwungen, die simpelsten sozialen Verhaltensweisen einzuüben. Das fängt mit einem einfachen Gespräch an, geht über Auseinandersetzungen mit verbalen Mitteln bis hin zu moralischen Werten. Sehen Sie, es gibt nur noch sehr wenige, die freiwillig etwas für einen anderen tun, ohne zu fragen: Was springt für mich dabei raus? Kinder sind die Seismographen der Gesellschaft.«
»Das erlebe ich häufig anders«, meinte van Appeldorn. »Wir haben mit Jugendlichen zu tun, die seelenruhig daneben stehen, wenn ein Kumpel eine Straftat begeht, und die im Traum nicht darauf kämen, gegen ihn auszusagen, selbst wenn wir sie noch so festnageln. Nach dem Motto: Ich schwärze doch keinen Kumpel an!«
»Ich glaube nicht, dass so etwas unbedingt aus Solidarität geschieht, eher aus Angst.«
»Aus Angst?«, fragte van Appeldorn. »Ich habe viel mehr den Eindruck, aus Gleichgültigkeit. Die Jugendlichen fühlen sich für nichts mehr wirklich verantwortlich.«
»Nur die Jugendlichen? Nun ja, ein endloses Thema und ein Problem, das wir beide sicher heute nicht lösen werden.«
»Bestimmt nicht.« Van Appeldorn trank sein Glas aus und stand auf. »Ich verstehe nur eines nicht: Wenn Sie so schwarz sehen, wie halten Sie dann Ihren Beruf aus?«
»Das sind Kinder, keine fertigen Menschen. Wie kann ich die verantwortlich machen für das, was die Gesellschaft verbockt? Sicher gibt es ein paar Kinder, die schon verloren sind, aber die meisten von denen, die Sie hier sehen, strotzen vor Kraft und Energie und brennen darauf, die Welt aus den Angeln zu heben. Soll ich die hängen lassen? Ich mag Kinder. Sie haben ihre Probleme, aber deswegen sind sie keine Monster.«
»Ist das nicht Killers Karre dahinten?« Fanny kniff die Augen zusammen und blinzelte.
»Klar ist das Killer! Du könntest dir wirklich bald mal eine Brille zulegen.« Zarah winkte. »Bobo ist auch dabei. Wir sollen rüberkommen.«
»Wieso holen die uns von der Schule ab?« Fanny blieb misstrauisch stehen. »Wir sollen uns doch so wenig wie möglich zusammen sehen lassen.«
»Ist doch süß von denen.«
Killer machte ihnen von innen die hintere Tür auf. »Steigt schon ein, los! Muss ja nicht jeder mitkriegen.«
»Erst will ich
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