Ackermann tanzt
hin. »Könnt ihr mal für mich übernehmen? Ich komme sofort wieder.« Die beiden sprangen bereitwillig auf. »Muss kurz was mit Maxim besprechen.«
Maxim Weiß war vor sechs Jahren mit seiner ganzen Familie aus Russland hergekommen. Am Anfang war die Großmutter die Einzige gewesen, die deutsch gesprochen hatte, ein altmodisches Deutsch wie aus dem letzten Jahrhundert. Maxim war Gynäkologe, hatte in Moskau einen guten Job gehabt, aber obwohl er inzwischen die Sprache gelernt hatte, fand er hier keine Arbeit als Arzt. Er malochte als Handlanger auf dem Bau. Außerdem hatte er eine Lizenz als Fußballtrainer, und Jugendmannschaften waren eigentlich unter seinem fachlichen Niveau.
»Tag, Norbert. Läuft es gut?«
»Geht so, die Jungs haben nicht gerade ihren besten Tag. Und bei dir? Hast du endlich eine Wohnung gefunden?«
»Keine, die ich bezahlen könnte. Aber bald vielleicht. Larissa hat nun Arbeit.«
»Als Lehrerin?«
»Nein, in einem Pommes-frites-Restaurant.«
»Schöner Mist! Soll ich mich noch mal wegen einer Wohnung umhören?«
»Ja, das ist nett. Aber sie muss nicht zu klein sein. Unser Mädchen ist zu alt, um mit ihren Brüdern in einem Zimmer zu schlafen. Du, ich habe da noch ein Problem.«
»Schieß los!«
»Im Wohnheim sind ein paar Jugendliche, die ein bisschen Hilfe brauchen von uns, wie ich das sehe. Sie machen dumme Sachen, weil sie zu viel Energie haben. Genau weiß ich nichts, aber ich merke. Von ihrem Alter müssen die in die A-Jugend, aber sie haben noch niemals Fußball gespielt. Ich denke trotzdem, dass sie kommen sollten.«
»Ich rede mal mit Kalle. Schlepp sie einfach an und dann werden wir schon sehen, ob sie Spaß dran haben, ob das klappt. Sprechen sie Deutsch?«
»Besser wie ich, wenn sie wollen. Komm doch mal wieder zum Essen mit deiner Frau.«
»Nur, wenn ich die Zutaten besorgen darf.«
»Ach, dazu reicht es schon.«
»Schauen wir mal. Na gut, wir sehen uns gleich beim Bier.«
»Heute nicht, Norbert. Kolja schreibt morgen ein Diktat. Wir müssen ein bisschen üben.«
Nachdenklich ging van Appeldorn über die Wiese zurück zum Fußballfeld. Er hatte noch nie mit seinen Töchtern für ein Diktat geübt. Marion kümmerte sich um diese Dinge, glaubte er jedenfalls. Da waren wieder die unangenehmen Gedanken, die ihm heute schon ein paar Mal durch den Kopf gegangen waren. Obwohl Anna schon seit vier Jahren auf der Schule in Materborn war, hatte er das Gebäude heute zum ersten Mal von innen gesehen und die Lehrer kennen gelernt. Er hatte keine Ahnung gehabt von den vielen ausländischen Kindern, von den Rangeleien, dem Chaos und erst recht nicht von dem, was Jansen erzählt hatte. Wie kam Anna damit zurecht? Wo war ihr Platz in dem ganzen Gefüge? Ihre Zeugnisse waren immer gut gewesen und sie hatte noch nie über Probleme gesprochen, jedenfalls nicht mit ihm. Eigentlich sprach sie sowieso kaum mit ihm. Und Nadine Ackermann nahm ihren Vater auf Feten mit! Was lief denn bei denen so anders? Nun ja, wahrscheinlich war das eine Typfrage. Wenn Nadine auf ihren Vater kam, war sie vermutlich simpel gestrickt. Anna war eben anders. Sie war immer schon verschlossen gewesen. Vielleicht sollte er doch mal mit Marion darüber sprechen. Je nachdem, wie die Stimmung heute Abend war ...
»Da ist sie!« Zarah machte einen geschmeidigen Satz nach vorn und erwischte Jacqueline an ihrem langen Haar. Jacqui schrie auf, aber Zarah presste ihr die linke Hand auf den Mund und zerrte sie nach hinten. Fanny hielt die Tür zum Gewächshaus auf, packte mit zu und gemeinsam warfen sie das Mädchen auf den schmutzigen Betonboden.
Die Gärtnerei gegenüber der Schule war um diese Zeit ein sicherer Ort. Der Laden war geschlossen und die Arbeiter hatten Mittagspause und pennten, oder was auch immer. Jeder in den oberen Klassen der Hauptschule wusste, dass man hier zwischen eins und zwei einen Quicky schieben oder sich in aller Ruhe einen Bong durchziehen konnte.
Jacqueline wehrte sich wie ein Tier, aber Zarah hatte ihre Haare fest in der Faust. Da rammte ihr Jacqui das Knie in den Unterleib, Zarah brüllte und hielt plötzlich ein blutiges Haarbüschel in der Hand.
»Scheiße! Hört sofort auf, ihr Spastis!«, schrie Fanny so atemlos, als hätte sie mitgekämpft.
Jacqui kam langsam hoch und tastete nach der blutigen Stelle über ihrem Ohr. Zarah wälzte sich am Boden und hielt sich wimmernd den Bauch, aber dann kreischte sie plötzlich auf und stürzte sich wieder auf die andere, kratzte ihr wild
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