Acqua Mortale
Natale bot Lunau und Amanda einen Whiskey an, Lunau lehnte ab. Di Natale schenkte großzügig zwei Gläser ein und setzte sich in einen Sessel, Amanda und Lunau gegenüber.
»Was genau kann ich für Sie tun?«
»Ich suche nach Originalen, die es nur hier geben kann. Fischer, Fährmänner, was auch immer mit dem Fluss zusammenhängt.«
Amanda ruckelte unruhig auf dem Sofa hin und her, während Di Natale antwortete: »Sie meinen mich?«
»Zum Beispiel. Und dann will ich die Geräusche aufzeichnen, die diese Landschaft ausmachen. Vogelstimmen, aber auch Schifffahrtsverkehr, Schleusentore, Industrieanlagen, was auch immer charakteristisch ist für den Fluss und sein Delta.«
Di Natale lachte: »Da müssen Sie mindestens ein Jahr bleiben, hier hängt alles mit dem Fluss zusammen. Jede Gasse, durch die sie gehen, wurde vom Wasser des Po geformt.«
»Lassen Sie uns mit dem Interessantesten anfangen.«
»Die Zugvögel kommen aus Afrika zurück, machen hier Station Richtung Mittel- und Nordeuropa. Im Moment finden Sie nirgendwo in Europa so viele Arten wie im Delta.«
»Könnten Sie mir ein paar Stellen empfehlen?«
»Ich mache morgen ein bisschen früher Schluss, danach fahre ich Sie hin.«
Lunau wollte ablehnen. Er konnte Di Natale kein Honorar bezahlen, und im Grunde war er beim Aufnehmen lieber allein.
Aber Di Natale ließ sich nicht umstimmen. »Wenn jemand den Po sogar im Ausland zu Gehör bringen will, da bin ich zu jedem Opfer bereit!« Di Natale hatte Lunaus Blick auf die kuriosen Bilder an den Wänden abgefangen. »Ach, das ist eines meiner bescheidenen Hobbys. Ich sammle Treibholz aus dem Fluss.«
Di Natale stand auf und holte eines der Werke. Man assoziierte eine flache Landschaft, über der die Sonne als orangefarbene Scheibe stand, eine rätselhafte Ruhe ging von dem Bild aus. »Jedes dieser Holzstücke hat eine lange Geschichte, war vielleicht einmal Fischerboot oder Landungssteg, Ruder oder auch nur Obstkiste. Ich verändere die Farbe nicht, säge die Stücke nur so zurecht, dass sie in eine Komposition passen, die einem inneren Bild von mir folgt. Die eigentliche Arbeit hat der Fluss getan.«
Lunau betrachtete die je unterschiedliche Maserung der einzelnen Holzelemente und den durch Wind, Wetter und Wasser gezeichneten Lack. Winzige Risse und Blasen waren zu sehen, die man unwillkürlich berühren wollte. Und Lunau bedauerte wieder einmal, dass er für ein rein akustisches Medium arbeitete.
Di Natale redete von seiner Arbeit bei der ARNI, der Binnenschifffahrtsbehörde, die den Fluss wieder in eine florierende Wasserstraße verwandeln wollte. Amanda schaute die beiden Männer mit offenkundigem Widerwillen an und trank einen Whiskey nach dem anderen. Zum Rauchen ging sie hinaus in den Garten, und Lunau betrachtete ihre schlanke Silhouette vor dem finsteren Fluss.
Nach der fünften Zigarette schlug Lunau vor, nach Hause zu gehen. Di Natale entschuldigte sich für seine Frau, die wohl bei den Kindern eingeschlafen war.
Am Auto musste Lunau mit Amanda um die Schlüssel streiten.
»Ich habe keinen Schluck getrunken«, sagte er.
»Warum eigentlich?«, fragte das Mädchen. »Sind Sie immer so ein Langweiler? Einer, der mit einem Anglerhütchen auf dem Kopf nach Blesshühnern sucht? Ich dachte, Sie wären an Marcos Schicksal interessiert.«
Lunau merkte jetzt, dass sie lallte, und eine unsägliche Wutstieg in ihm hoch. »Wären Sie jetzt in Ihrem Zustand noch Auto gefahren? Und womöglich so schnell wie auf der Herfahrt?«
»Vielleicht, Papi.«
»Jetzt geben Sie schon her.«
Er versuchte, ihr die Schlüssel zu entwinden, sie fing an zu kichern und zeigte eine erstaunliche Kraft. »Wetten, dass Sie sie nicht bekommen?«
»Gute Nacht«, sagte Lunau und ging zu Fuß. Die Straße war verlassen, die Häuser mit Fensterläden verrammelt und feindselig. Der Nebel hatte sich verzogen, aber es war erstaunlich kalt.
»Jetzt steigen Sie schon ein.« Amanda war neben ihn gerollt.
»Nur wenn ich fahren darf.«
Amanda kroch auf den Beifahrersitz und zischte »Penner« durch die Zähne. »Eins möchte ich klarstellen: Sie sind nicht mein Erziehungsberechtigter.«
»Da wären wir uns schon mal einig. Sie lassen mich meine Arbeit machen. Wenn Sie mir dabei helfen können, gut, wenn nicht, geht jeder seiner Wege.«
»Ich dachte, wir arbeiten zusammen.«
»Haben Sie eigentlich schon einmal gearbeitet?«
Sie schaute ihn voller Hass an. Plötzlich bebte ihr Kinn, und die Schminke lief in dicken Spuren über
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