Acqua Mortale
Goldene Zeiten, als noch das Telefon blockiert war, wenn man im Internet spielte, dachte er. »Geh nicht ran, ist nicht wichtig«, schrie er durch die Tür. Er hatte sich für die softe Variante entschieden, er zog das Frauenregister. Wozu hatte man sich jahrelang in sie hineingedacht und -gefühlt, hatte sich abweisen, belehren und rüffeln lassen, bis man endlich verstand, wie Frauen tickten? Er erhöhte nur um achtzig Euro. Jetzt lagen eintausendvierhundertdreißig Euro im Pott, für Online-Poker ganz beachtlich. Sie brachte die achtzig, jawohl, sie hatte angebissen. Aber … was machte sie nun? Noch einmal hundertfünfzig? Wieso erhöhte sie wieder? Und dann so verhalten? War sie tatsächlich so verrückt, auf einen Flush zu spekulieren? Das war die einzig mögliche Kombination, die über seine Könige ging. Glaubte sie tatsächlich, dass auf dem River noch ein Herz kam? Nein, der Grund war ein anderer. Sie glaubte, er habe kein starkes Paar. Sie glaubte, er spekuliere auf einen Herz-Flush. Jetzt war sie in die Falle gegangen, seine bisherigen Bluffs hatten Erfolg gehabt. Nach vier Stunden zähen Ringens und bescheidener Verluste hatte er sich an diesem Tisch das Image des Hasardeurs erworben. Diese Investition zahlte sich nun endlich aus. Anfänger meinen, man gewinne beim Poker, indem man einzelne Hände gewinnt. Der Könner weiß, dass eine entscheidende Hand zum Sieg führt. Aber diese eine Hand will vorbereitet sein, über Stunden, Tage, ja manchmal über ein ganzes Spielerleben. Natürlich brachte er die hundertfünfzig Euro, nach einer angemessenen Frist. Da ging die Tür auf.
»Kommst du bitte mal ans Telefon?«
Er nahm den Blick nicht vom Bildschirm. Der Geber ließ die oberste Karte vom Stapel und legte sie zur Seite. Dann kam die letzte. Die entscheidende. Sie würde sich gleich umdrehen, und dann stand mathematisch fest, dass er diesen Pott gewonnen hatte und mit dem größten Stack in die Finalphase ging. Charlie’s Angel konnte nur noch versuchen, ihn aus dem Spiel zu drängen, indem sie aberwitzig erhöhte. Um so besser. Sie war wie ein Fisch, der den Haken immer tiefer ins Fleisch trieb, je heftiger er sich wehrte.
»Beppe!«
»Ich hab doch gesagt, lass es klingeln. Ich kann jetzt nicht.«
»Du musst.«
»Wer ist es denn?«
»Weiß ich nicht.«
»Lass dir die Nummer geben, ich rufe sofort zurück.«
»Du musst selber an den Apparat kommen.«
Sie hatte es in einem so merkwürdigen Ton gesagt, dass er sich ablenken ließ. Sie war kreidebleich und zitterte.
»Was ist denn los, verdammt? Du siehst doch, ich bin am Arbeiten. Das, das …«
Er lief schnell die Treppe hinunter und nahm den Hörer in die Hand. »Hören Sie, im Moment kann ich leider …«
»Ich bin es.«
Er zuckte zusammen. Die Stimme war nur ein Flüstern. Dahinter rauschte etwas, wie ein Fernseher, der keinen Empfang mehr hatte.
»Ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollen nicht unter dieser Nummer anrufen.«
Keine Reaktion, nur dieses sonderbare Rauschen, das ihm kalte Schauer über den Rücken jagte. Ihm wurde klar, dass er einen Fehler begangen hatte.
»Nein, entschuldigen Sie, es ist nur …«
»Sie wissen nicht, was für ein Privileg es bedeutet, dass ich diesen Anruf tätige. In einer solchen Phase habe ich einen Vorgang grundsätzlich aus der Hand gegeben. Dann kümmern sich Mitarbeiter darum. Sagen wir, Ihr Privileg ist unserer langjährigen Beziehung und Ihrem Nachnamen geschuldet.«
»Am Montag. Bis Montag schaffe ich es. Am Wochenende bin ich beim größten Turnier der Geschichte, ich bin schon qualifiziert, damit habe ich garantiert ein Preisgeld von …«
»Sie haben Zeit bis morgen zehn Uhr. Bei einem Aufschlag von fünf Prozent.«
»Zehn Prozent. Montag, acht Uhr morgens. Sie können sich auf mich verlassen.«
Der andere lachte. »Natürlich. Als hätte ich jemals daran zweifeln können. Ach, übrigens …«
Beppe Pirri hielt inne. Er ließ seinen Blick durch den Flur schweifen, über die Stilmöbel, die schon seinem Vater gehört hatten, der sich einen teuren Geschmack und dessen Befriedigung durch bedingungslosen Einsatz erarbeitet hatte. Sein Vater war lange tot. Wer konnte ihm jetzt noch helfen?
»Ab jetzt bin ich nicht mehr für Sie verantwortlich.«
»Was meinen Sie damit? Sie brauchen mir nicht zu drohen«, antwortete Pirri.
»Von mir geht doch keine Bedrohung für Sie aus. Ihre Wechsel sind verkauft.«
»An wen?«, fragte Pirri.
»Der Betreffende wird sich gewiss bald bei Ihnen
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