Acqua Mortale
Handwerk.«
Sie stand auf und hauchte ihm jeweils einen Kuss auf jedeWange. »Man wird Zappaterra niemals überführen«, sagte sie.
»Wir werden es versuchen.«
Sie hatte ihren Mund immer noch an seinem Ohr, und dann flüsterte sie etwas. Sie sprach plötzlich Deutsch, mit dem singenden Akzent der Italiener, der schöner und wichtiger klang als der Inhalt. So wichtig und brutal der Inhalt auch sein mochte.
65
Dany kletterte die Böschung hinunter, und mit einem sonderbaren Glücksgefühl spürte sie, wie die Erdoberfläche seitlich wegkippte. Denn natürlich war nicht der steile Hang an dem Schwindel Schuld, sondern die Schwangerschaft. Der winzige Mensch in ihrem Bauch war erst einen halben Zentimeter lang, aber er stellte bereits ihr Leben auf den Kopf. In den intensiven Geruch von feuchtem Gras und Sand mischte sich eine süßlich-würzige Note: Marihuana. Er zog von der Hütte herüber, vor der ihr Vater saß. Er rauchte eine der Zigaretten, die er sich aus den Tabak- und Cannabisblättern drehte. Dany hatte nie herausbekommen, wo er die Blätter fand, die er unter der Decke seiner Hütte trocknete.
Er stand auf und kam ihr entgegen. Zum ersten Mal seit langem. Dany spürte, dass etwas mit ihm geschehen war, aber dann war sein Geruch wieder so stark, dass sie nicht mehr denken konnte. Sie umarmte ihn. Das Ratgeberbuch hatte leider auch in diesem Punkt recht: Der Geruchssinn wurde in der Schwangerschaft deutlich empfindlicher. Aber noch stärker war heute ihr Bedürfnis, ihren Vater ganz fest zu halten, ihm die Neuigkeit mitzuteilen.
»Papa!«, sagte sie, »ich muss dir etwas sagen, setz dich.« Sie zog ihn wieder auf den Holzklotz und blieb vor ihm stehen, deuteteauf ihren Bauch. »Ich bin schwanger. Ich bekomme ein Kind! Du wirst Großvater.«
Er schien in die Ferne zu lauschen und nach geraumer Zeit das Echo ihrer Worte wahrzunehmen. Und erst dieses Echo konnte er entschlüsseln. Sein Gesicht hellte sich auf, sein Mund entblößte die gelblich-braunen Zähne, in seinen Augen war ein jungenhaftes Strahlen, wie sie es noch nicht an ihm gesehen hatte.
Er sprang auf und presste sie fest an sich, drückte ihr Küsse auf Wangen und Stirn, und dann lief er plötzlich in seine Hütte. Dany setzte sich auf den Hackklotz, verschnaufte und genoss diesen perfekten Tag, die Sonne, die in Millionen Glanzlichtern auf dem Fluss spielte, den Wind, der die Pappelblätter applaudieren ließ.
Danys Vater kramte in seinem Gerümpel. Eisen- und Blechteile schepperten, Glas klirrte. Er kam nicht zurück.
Dany stand auf und rief: »Papa! Ich muss weiter.« Keine Reaktion, nur ein leerer Plastikkanister, der von innen gegen die Wand flog.
»Was suchst du denn?«
Sie warf einen Blick in die Hütte, und dann verschlug es ihr die Sprache. Ihr Vater stand mit einer Flasche Wein und zwei stumpfen Gläsern vor ihr. Aber das war es nicht. Hinter seinem Rücken hatte jemand ein Blutbad angerichtet. Und zwar nicht mit einem Tier, sondern mit einem Menschen, wie man an den zerfetzten, mit geronnenem Blut getränkten Kleidern erkennen konnte.
»Papa, was hast du getan?«, fragte sie. »Wer war hier?«
Der Schäfer winkte ab und entkorkte die Flasche. Er schenkte die beiden Gläser randvoll und reichte Dany eines. Sie stießen an. Sie nippte.
»Wer war hier?«
Er ermunterte sie mit einer Geste, weiterzutrinken.
»Ich darf nicht, wegen der Schwangerschaft. Ich werde dafür versuchen, ein bisschen mehr zu essen.«
Wieder strahlte er. Plötzlich schien er jedes Wort zu verstehen. Er deutete auf Danys Bauch, auf Danys Gesicht und dann auf eine Stelle neben Dany. Sie schaute auf den Boden. Nur zertrampeltes Gras. Was meinte er? Er holte eine Trommel und zeigte ihr eine der Kopulationsszenen, die er in den Holzrahmen geschnitzt hatte. Er zeigte auf ein dickbäuchiges Tier mit Schweinekopf und dem buschigen Schwanz eines Fuchses, das von hinten einen übergroßen Frosch begattete. Ihr schoss die Röte ins Gesicht. Warum nur musste bei ihm alles abstoßend wirken?
Sie wollte gehen, aber er hielt sie am Handgelenk fest. Seine harte Pranke umschloss sie wie ein Schraubstock, und mit der Linken dividierte er ihre Finger auseinander, bis er ihren Ringfinger gefunden hatte. Er hielt ihr seinen Ehering direkt vor die Nase, und dann deutete er wieder auf ihren Ringfinger, der leer war.
»Ich bin nicht verheiratet. Na und? Willst du mir erklären, wie man eine Beziehung zu führen hat? Soll ich vielleicht so eine Ehe führen wie du?«
Er
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