Acqua Mortale
schüttelte heftig den Kopf und starrte ihr in die Augen, streichelte ihr über die Wange. Er bot ihr den Platz auf seinem Holzklotz an, aber ihr war längst die Lust vergangen. Er fiel vor ihr auf die Knie und faltete die Hände wie im Gebet, hielt sie an den Fesseln fest. Sein theatralisches Getue ging ihr gegen den Strich.
Mit dem Finger malte er drei Figuren in den Sand: Mutter, Vater, Kind. Er deutete auf den Vater und riss fragend die Augen auf.
»Wer der Vater ist, willst du wissen?«
Er nickte heftig und strahlte über das ganze Gesicht. Dany tat leid, dass sie so wenig Geduld für ihn aufbrachte.
»Zappaterra«, sagte sie.
In einer ansatzlosen Bewegung war er aufgesprungen und stand vor ihr, die Beine leicht gebeugt, die Arme seitlich abgespreizt, wie ein Messerkämpfer. Jetzt bringt er mich um, dachte Dany. Sie versuchte aufzustehen, aber er war schneller. Er hatte sie überwältigt und zerrte sie an den Haaren in die Hütte.
»Papa! Papa!«, schrie sie. »Tu es nicht!«
Sie war gefallen und hing mit den Haaren an seiner Faust. In Schräglage trippelten ihre Füße hinter ihm her, ihre Kopfhaut schmerzte, als laufe siedendes Wasser darüber. Sie versuchte, sich aufzurichten. Vergebens. Sein Arm war stark wie ein Eichenknüppel, und er hielt ihren Kopf auf Hüfthöhe.
Mit der freien Hand kramte er wieder in seiner Ecke. Er schob Gerümpel von einer Truhe und riss den Deckel auf.
»Papa, lass mich los!« Er hörte nicht auf ihr Flehen. Mit der Rechten hielt er sie nieder, mit der Linken schaufelte er Papiere aus der Truhe. Briefe, lose Blätter, vergilbte Fotos. Von den vielen Hochwassern längst zu Brei zerklumpt.
»Was soll das? Lass mich los! Papa!«
Er fand einen Ring und hielt ihn ihr vors Gesicht. Dann eine Photographie, die noch nicht völlig unkenntlich geworden war. Ihre Mutter war darauf zu sehen, und ihr Vater bespuckte sie. Dany kam frei und rannte aus der Hütte.
Das war das letzte Mal, sagte sie sich.
66
Zappaterra hatte auf den ersten Blick keinen schlechten Geschmack. Er wohnte auf einem ehemaligen Bauernhof, der seinen ursprünglichen Charme bewahrt und durch eine Vielzahl an Kletterrosen eine fast romantische Note bekommen hatte.Ein Ensemble schlichter Backsteingebäude, direkt hinter dem Hauptdeich, vier Kilometer östlich der Sandgrube. Das Haus war der typische einstöckige Langbau, der früher in Wohnräume und Stallungen unterteilt gewesen war. Zwei gemauerte Scheunen standen einander gegenüber und bildeten, gemeinsam mit dem Wohnhaus, ein »U«, das von hohen Ulmen beschattet wurde.
Kurz nach 16 Uhr trat Andrea Zappaterra, gefolgt von seinem Sohn Filippo, auf den einstigen Dreschplatz. Zappaterra drehte sich um, und er spürte so etwas wie Stolz, weil Filippo ihn um fünf Zentimeter überragte. Sicher, er hatte noch nicht die Muskulatur seines Vaters. Er war erst einmal in die Höhe geschossen, dünn, unsicher und blass wie eine Pflanze, die zu wenig Licht abbekommen hatte. Aber diese Pflanze würde sich das Licht schon beschaffen und damit die gesunde Farbe, den Schmelz und die Kraft, mit denen man im Leben bestand.
Filippo wollte in sein BMW-Cabriolet steigen, aber Zappaterra sagte: »Wir nehmen meinen.« Mit einer mürrischen Miene stieg Filippo auf den Beifahrersitz.
»Du weißt, dass ich das nicht ausstehen kann«, sagte Filippo.
»Du machst in wenigen Tagen Abitur. Du stehst bald auf eigenen Füßen. Wir müssen einmal von Mann zu Mann reden.«
Zappaterra ließ den Wagen über den Deich rollen, wechselte auf die venetische Seite und fuhr weiter flussaufwärts. Nach vier Kilometern bog er ins Deichvorland ab. Filippo verdrehte die Augen.
»Du willst doch nicht angeln, oder?«
»Ich will mit dir reden.«
Zappaterra stellte den Motor ab, stieg aus und holte die Ruten aus dem Kofferraum. Eine warf er Filippo hin, der sie reflexartig auffing.
»Na, geht doch«, sagte sein Vater.
»In einer Stunde kommt die Zusammenfassung der Pokalspiele.«
»Die zeichne ich auf. Du kannst sie auch morgen noch sehen.«
Zappaterra ging mit seinem Sohn über eine Landungsbrücke auf eine Art Hausboot. Eine Holzplattform, die auf zwei langen, schmalen Kähnen ruhte. Mitten auf der Plattform stand eine Blockhütte, die Außenkanten waren mit einer Reling versehen. Zappaterra holte zwei Klappstühle aus der Hütte, nahm zwei Dosen Bier aus dem Kühlschrank, aus der großen Gefriertruhe holte er Pommes frites und legte sie zum Auftauen auf den Tisch.
»Ich habe keine Lust, mich
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