Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
Vom Netzwerk:
Autobahn?«
    »Wollen Sie wieder zurück in die Stadt?«
    »Fahren Sie mich an den Flughafen.«
    Amandas Auto hatte unterdessen die Schranke passiert und, in einer dunklen Abgaswolke, beschleunigt. Sie wechselte sofort auf die Überholspur und war im dichten Verkehr verschwunden.
45
    »Sind Sie wahnsinnig? Deswegen holen Sie mich aus der Klasse?«
    Silvia Di Natale hatte hektische Flecken auf den Wangen. Aus der offenen Tür hallten die Stimmen der Kinder, Johlen und Jubelgeschrei. Ein Mädchen, das offensichtlich als Ordnerin eingesetzt worden war, versuchte vergebens, sich Gehör zu verschaffen.
    »Pirri hat Ihren Mann vielleicht gar nicht umgebracht. Ich muss wissen, mit welchem Auto sie unterwegs waren. Nur Sie können mir helfen.«
    »Warum sollte ich?« Silvias Blick sprang zwischen Lunau und dem Klassenzimmer hin und her.
    Er ließ nicht locker: »Wollen Sie nicht wissen, wer Ihnen den Mann genommen hat? Haben Sie gesehen, wie Vito zu Pirri in den Wagen gestiegen ist?«
    »Sie gingen ein paar Schritte auf dem Bürgersteig, da steht eine alte Zeder, dann kommt die Mauer des Nachbarn. Sie waren aus meinem Sichtfeld verschwunden. Aber ich hörte noch zwei Autotüren, dann startete der Motor, und der Wagen fuhr los.«
    »Sie konnten das Auto nicht sehen?«
    »Nein, das habe ich doch gerade gesagt. War’s das jetzt?«
    Lunau reichte ihr die kleinen Ohrhörer und legte ihr den Rekorder in die Hand. »Drücken Sie einfach auf ›Start‹, ich sorge derweil für Stille, damit Sie sich konzentrieren können.«
    Er ließ Silvia auf dem Flur stehen und trat ins Klassenzimmer. Niemand kümmerte sich um ihn. Papierkugeln und -flieger segelten durch die Luft, zwei Jungs rangen, nebeneinander auf den Stühlen sitzend, miteinander, verloren das Gleichgewicht und schlugen krachend auf den Boden. Lunau schloss die Tür und ließ die Augen über die Reihen gleiten, bis sich sein Blick mit dem eines Jungen kreuzte. Er schaute ihn einfach an, der Junge grinste verlegen, schaute dann weg, redete kurz mit seinem Nachbarn, lachte und schaute Lunau wieder an. Er schwieg, und diese kleine Insel des Schweigens breitete sich aus. Erfasste alle Schüler, alle, bis auf die beiden Raufbolde. Bald war nur noch das Stöhnen und Ächzen aus der letzten Reihe zu hören. Ein Stuhl fiel um. Der eine hatte den anderen im Schwitzkasten und schaute plötzlich auf. Über ihm ragte Lunau auf. Schweigend. Er schaute den Jungen an und sagte leise: »Steh auf.«
    Der Junge hatte einen hochroten Kopf, Schweiß stand an seinen Schläfen. Er war mindestens 1,85 groß und achtzig Kilo schwer. Er wollte eine lustige Bemerkung machen, überlegte es sich aber anders und erhob sich langsam. Als der am Boden Liegende nachtreten wollte, schaute Lunau ihn an. Stumm. Die beiden setzten sich wieder auf ihre Stühle und kämmten sich mit den Fingern die Haare. Lunau ging vor ans Pult und sagte auf Deutsch: »Ich bin euer neuer Deutschlektor. Wir sollen Konversation treiben.«
    »Aber wir haben doch eine Lektorin«, protestierte ein Junge mit Tattoo auf dem Oberarm.
    »Ich bin die Vertretung. Wenn ihr mitmacht, bringe ich euch Flüche und obszöne Redewendungen bei, wenn ihr dagegen herumlärmt, dann nehmen wir Feiertagsbräuche durch.«
    »Flüche, Flüche, obszöne Sprüche …«, schrien die meisten auf Italienisch durcheinander.
    »Ihr müsst Deutsch mit mir reden.«
    »Wir wissen nicht, was Möse auf Deutsch heißt«, schrie ein Junge auf Italienisch. Gelächter. Die Mädchen in den vorderen Reihen verdrehten die Augen.
    »Versuch, es auf Deutsch zu umschreiben. Du kannst mir erklären, wo sie liegt, wer sie hat, wie sie aussieht. Du kannst auch Gesten verwenden, aber kein Italienisch.«
    Alle starrten den Jungen erwartungsvoll an. Radebrechend sagte er ein paar Sätze, in einer Pantomime flocht er sich Zöpfe und deutete sich auf den Schritt. Die Tür ging auf, und Silvia kam herein.
    Lunau sprang auf und trat auf sie zu. Dann flüsterte er: »Und?«
    »Der zweite Motor.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    Er nickte. Das war die Bestätigung. Plötzlich fügte sich alles: Das Ehepaar Pirri hatte zwei Autos besessen. Beppe Pirri hatte Di  Natale mit dem Punto abgeholt, mit dem unauffälligeren Wagen, den sonst wohl die Frau fuhr. Dann hatten die beiden versucht, Lunau zu überfahren. Wahrscheinlich hatte Pirri am Steuer gesessen, womöglich hatte Di Natale sogar versucht, die Kollision zu verhindern. Das würde auch erklären, warum die Attacke in mehreren

Weitere Kostenlose Bücher