Acqua Mortale
Hof, wo der Wagen parkte.
Es fing zu dämmern an. Aber der Himmel hatte einen kränklichen Rotton, ein falsches Morgenrot. Die Luft schmeckte nach Sand, war föhnig warm und rüttelte an den Ästen der Platanen.Eine Laterne schaukelte im Wind und erzeugte das Quietschen, das bis ins Hotelzimmer zu hören war. Lunau startete den Wagen und ließ ihn durch das schmiedeeiserne Tor rollen, das sich automatisch öffnete.
Die Straße war leer. Bis auf einen Wagen, der, in großem Abstand, Lunau folgte. Lunau fuhr auf den Viale Cavour , kam noch einmal an den Büros des Deichamts vorbei, über mehrere Verkehrskreisel gelangte er auf eine breite Umgehungsstraße, kurz darauf war er auf der Autobahn. Die Sonne war aufgegangen, aber am Himmel ballten sich immer noch glutrote Wolken. Der Scirocco hatte wieder Sahara-Sand gebracht und wartete darauf, dass der Regen ihn auf die Erde spülen würde.
Der Verkehr auf der Autobahn war dicht, aber er rollte gleichmäßig. Viele Ferrareser pendelten zu ihrem Arbeitsplatz nach Bologna. Das Auto, das Lunau im Rückspiegel gesehen hatte, war verschwunden.
Lunau hatte ein fades Gefühl. Er hatte seine Hausaufgaben gemacht, hatte ein paar hübsche Reise-Impressionen im Gepäck, aber er spürte, dass die eigentliche Geschichte nicht fertig war. Es gab zu viele Details, die nicht zusammenpassten. Selbst wenn man davon ausging, dass Lunau sich Di Natales Attacke auf dem Deich nur eingebildet hatte. Wo zum Beispiel hatte Di Natale das viele Geld her? Warum hatte Silvia die Bilder ihres Mannes verbrannt?
Als Lunau die Abfahrt zum Flughafen Marconi nahm, sah er wieder den dunkelblauen Wagen hinter sich. Wie alle Autos hatte er außerhalb der Ortschaft das Abblendlicht eingeschaltet. Und jetzt erkannte Lunau auch die Scheinwerfer wieder. Scharf geschnitten, wie die Augen einer Raubkatze. Es war dasselbe Auto, das ihn schon am Samstag beschattet hatte. Offensichtlich wollte man sichergehen, dass Lunau tatsächlich abreiste. Aber wer? Leute, die hinter Marcos Tod steckten? Die Polizisten also?Aber warum verfolgten sie Lunau nicht einfach über das Handysignal?
Lunau fuhr mit dem Auto auf den Parkplatz der Leihfirma und betrat dann das Terminal. Der dunkelblaue Wagen rollte langsam am Haupteingang vorbei und verschwand in der Kurzparkerzone. Lunau lud sein Gepäck auf einen Wagen und betrat das Flughafengebäude. Er ging an der Reihe der Check-In-Schalter entlang, bog dann in einen Pulk Touristen, ließ sich von der Menge schlucken und verließ das Terminal wieder durch einen Seitenausgang. Die Bremsleuchten des dunkelblauen Autos erloschen, die kleinen Wölkchen, die aus dem Auspuff kamen, rissen ab. Die Fahrertür ging auf, eine junge Frau mit Sonnenbrille, in Jeans und Pullover, stieg aus. Amanda.
Lunau schob den Wagen schnell wieder in das Terminal und stellte sich in die Schlange für den Flug nach Berlin. In einem der Monitore spiegelte sich die Schiebetür des Haupteingangs. Er konnte beobachten, wie Amanda hereinkam, die Halle absuchte, Lunaus Schalter ausmachte und sich dann hinter einem Ständer mit Postkarten postierte. Es war nur noch ein älteres Ehepaar vor Lunau, als er Amanda immer noch an dem Souvenirladen stehen sah. Offensichtlich nahm sie ihre Aufgabe ernst und wartete, bis er tatsächlich eingecheckt hatte.
Lunau legte sein Ticket auf den Schalter, eine junge Stewardess begrüßte ihn mit einem reizenden Lächeln: »Haben Sie Gepäck?«
Lunau nickte und stellte seinen Koffer auf das Förderband. Die Waage zeigte 12,4 Kilogramm. Warum hatte Amanda ihn nach Ferrara geholt? Wenn sie ihn dann als Feind betrachtete? Was hatte Amanda bei ihren Recherchen entdeckt? Etwas, das sie Lunau auf keinen Fall mitteilen konnte? Oder arbeitete sie gar nicht auf eigene Rechnung ? Lunau wurde klar, dass sie ihn die ganze Zeit beschattet hatte. Deshalb war sie am Lido gewesen.Und vermutlich hatte sie ihn auch im Delta beobachtet, als er Pirri aufspürte. Womöglich wusste sie längst, wo Pirri war. So wie Gasparotto. Aber warum musste ausgerechnet Lunau Pirri finden? Warum hatte man nicht einfach die Polizei informiert?
»Ihren Pass bitte!« Das Mädchen mit den weinrot geschminkten Lippen lächelte nicht mehr. Hinter Lunau wurde Unmut laut. Lunau nickte und nestelte an seinem Jackett. Er fand die Brieftasche und zog den Personalausweis heraus. Er legte ihn auf den Tresen, und das Mädchen tippte seine Daten in den Computer ein.
Lunau musste an die Fotos von Pirri denken. Er holte die
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