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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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unbeholfenen Anläufen stattgefunden hatte. Hatte Di Natale Lunau das Leben gerettet und war dafür bestraft worden?
    »Sie haben mir sehr geholfen. Ich will herausfinden, was wirklich passiert ist. Niemand weiß, dass ich noch in der Stadt bin. Niemand außer Ihnen.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich verlasse mich auf Sie.«
    Er zog die Kladde mit Di Natales Steuerakten heraus.
    Als Silvia erkannte, worum es sich handelte, fragte sie hektisch: »Wo haben Sie das her?«
    »Sie sollen mir nur sagen, ob die Unterlagen echt sind oder manipuliert.«
    »Sie haben kein Recht …«.
    »Ich kann Ihnen das jetzt nicht erklären. Bitte beantworten Sie meine Frage.«
    Sie blätterte schnell in den Unterlagen.
    »Was ist mit den Flüchen?«, schrie jemand auf Italienisch.
    Lunau drehte sich zur Klasse und hob den Zeigefinger.
    »Du musst ihn auf Deutsch fragen«, schaltete sich ein Klassenkamerad ein. »Und leise.«
    »Das kann ich auf die Schnelle nicht sagen«, meinte Silvia Di Natale. »Schon gar nicht hier.«
    »Wann kann ich zu Ihnen kommen?«
    Silvia schaute ihn kurz an. »Um halb sechs bin ich zu Hause.«
    »Danke«, sagte Lunau und packte den Korg und die Unterlagen weg. Er grüßte Silvia und die Klasse und ging, während sich hinter ihm heftiger Protest erhob. Man schrie, er sei ein Blender und Verräter.
46
    Amanda hatte nur ihre Tasche in ihr Zimmer geworfen, die Kamera und das Aufnahmegerät gepackt und die Schlüssel für ihren Minicooper gegriffen.
    Sie ärgerte sich über den verlorenen Tag. Den Weg zum Flughafen hätte sie sich sparen können, Lunau war abgeflogen wie erwartet. Und dann waren von den drei Vorlesungen zwei ausgefallen. Außerdem hatte sie die halbe Nacht nicht geschlafen, weil sie vor dem Hotel auf Lunau gewartet hatte.
    Sie hatte den Po überquert, jagte über die Staatsstraße Richtung Rovigo, bog aber plötzlich rechts in eine Nebenstraße. Pulla war der Einzige, für den der »Zwischenfall« mit Marco zu Konsequenzen geführt hatte. Catozzo und Massari verrichteten weiterhin in Ferrara ihren Dienst. Mit demselben Rang und mit denselben Aufgaben. Pulla dagegen war nach Adria versetzt worden. Was er dort genau tat, wusste Amanda nicht. Nur dass er morgens um acht Uhr die Dienststelle betrat und am Nachmittag um siebzehn Uhr wieder verließ. In Uniform.
    Adria war ein Städtchen mit knapp 20 000 Einwohnern. Die Polizeidienstelle lag direkt an der Piazza, wo auch die Kathedrale stand. Es gab dort nur fünf Parkplätze, zwei für Dienstwagen und die anderen drei für Zivilfahrzeuge der Polizeibeamten. Darunter Pullas kleiner angerosteter Alfa Romeo. Amanda hatte in einer Nebenstraße geparkt und wartete rauchend, mit Blick auf das Dienstgebäude. Sie hatte eine unauffällige Frisur gewählt, aber sie spürte die neugierigen Blicke der Passanten.
    Pulla erschien pünktlich. Er sah aus wie der klassische Süditaliener. Schwarzes, dichtes Haar, das er mit Gel nach hinten gesträhnt hatte. In der leicht geöffneten Hemdbrust glänzte eine schwere Goldkette, unter dem Saum der perfekt gebügelten Uniformhose die gewichsten Schuhe. Amanda lief zu ihrem Wagen, startete und hörte, wie der Alfa zu röhren anfing. Er schien ein Loch im Auspuff zu haben, was die Beschattung erleichterte. Pulla umrundete die Piazza, fuhr am kleinen Bahnhof vorbei und bog dann auf die Umgehungsstraße. Er telefonierte kurz mit seinem Handy und nahm dann die Landstraße Richtung Südwesten. Amandas Puls beschleunigte sich, doch nach wenigen Kilometern wich die Erregung einem Gefühl der Enttäuschung. Pulla war nach Ferrara unterwegs.
    Er wohnte dort mit seiner Frau und einer vierjährigen Tochter in einem Neubaugebiet außerhalb der Stadtmauer. Er war gerade Vater geworden, als Marco starb, wahrscheinlich unter seinen Schlägen. Und er war gerade erst nach Ferrara versetzt worden, hatte einen Kredit aufgenommen, um sich eine Wohnung zu kaufen. Fast die Hälfte seines Einkommens ging für die Raten drauf. Amanda versuchte sich vorzustellen, wie er seinem Töchterchen mit einer Rassel vor der Nase herumspielte, wie er seiner Frau über den Nacken strich. Das kleinbürgerliche Idyll eines Machos, der meinte, im Schutz der Uniform könne er seinen Sadismus ausleben und damit im neuen Italien Karriere machen.
    Als Pulla aus dem Wagen stieg, trat Amanda ihm in den Weg. Er schaute sie mit versteinerter Miene an, seine Lippen waren zu schmalen Wülsten zusammengepresst.
    »Sie werden nicht mit einer Versetzung davonkommen, das schwöre ich

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