Acqua Mortale
Ihnen.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, antwortete Pulla und versuchte, an ihr vorbeizukommen. Aber Amanda machte einen Seitfallschritt und stand wieder vor ihm. Sie war einige Zentimetergrößer als er, und sie roch sein billiges Aftershave und seinen kalten Schweiß und Zigarettenasche. Pulla suchte mit dem Blick die Fassade nach seinem Balkon ab.
»Wer saß noch in Ihrem Streifenwagen? Wer war der andere?«
»Welcher andere?«
»Sie werden mit dem Gesetz der Omertà nicht durchkommen. Wir sind hier nicht auf Sizilien.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Davon, dass du Marco erschlagen hast. Du und dein Kollege. Wer war es? Massari und Catozzo werden euch nicht länger decken.«
Er grinste höhnisch.
Amanda holte das Diktiergerät aus ihrer Tasche und spielte den Fetzen der Aufnahme ab: »Ja, hier Hecht 81.« – »Probleme? Wieso meldet ihr euch nicht.« – »Nein, keine Probleme.«
Pullas Lächeln war zu einer Grimasse erstarrt.
»Na, doch neugierig geworden?«, fragte Amanda und stellte das Gerät wieder an.
»Im Moment nicht vernehmungsfähig.« – »Wieso?« – »Pulla hat ihn ein bisschen hart rangenommen.«
Pullas Mundwinkel zuckte kurz, und seine Muskeln waren bereit zum Schlag. Aber er verlor die Kontrolle nicht.
»Schlag zu. Na, mach doch«, sagte Amanda und hielt ihm die Nasenspitze direkt an die Stirn. »Schlag zu.«
Pulla stand da wie in einer katatonischen Lähmung, nur auf Höhe seiner Kniescheibe sah man, wie der Uniformstoff zitterte.
»Pulla hat ihn ein bisschen hart rangenommen«, ertönte es wieder aus dem Diktiergerät. Amanda hielt es ihm direkt ans Ohr.
»Du denkst, weil du eine Uniform trägst, hast du einen Freibrief. Du denkst, weil deine Mama ihrem Liebling jede Wochedie gebügelten Hemden schickt, bist du eine Art Halbgott. Oder ist es deine Frau, die dir die Socken wäscht und die Flecken aus der Unterwäsche macht?«
Pullas Venen am Hals schwollen an. Die dichten schwarzen Haare an seinen Handgelenken stellten sich auf.
»Schlag zu, mach schon«, sagte Amanda. Pulla griff in seine Hosentasche, holte den Schlüsselbund heraus und lief zum Hauseingang.
Amanda stieg in ihr Auto, stellte die Videokamera ab, die sie umsonst mitgenommen hatte, ließ die Stirn auf das Lenkrad sinken und fing zu weinen an. Sie wurde noch immer von Heulkrämpfen geschüttelt, als Lunau seinen Wagen vom Parkplatz rollen ließ und sich auf den Weg zu Di Natale Haus machte. Er holte sein Handy aus der Tasche und rief im Kommissariat an. Balboni war angeblich schon nach Hause gefahren. Lunau probierte es unter der Mobilfunknummer.
»Wie kann ich Beppe Pirri sprechen?«, fragte er.
»Überhaupt nicht. Sie wissen, dass er in U-Haft sitzt. Kontaktsperre. Außerdem dachte ich, Sie wären abgereist.«
»Bin ich auch. Ich musste zurück nach Berlin.«
»Dann verstehe ich nicht recht, was Sie die Sache noch angeht.«
»Pirri hat versucht, mich umzubringen.«
Kurzes Schweigen, Gelächter im Hintergrund.
»Ich dachte, es war Di Natale.«
»Di Natale saß nur zufällig mit im Wagen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Fragen Sie Silvia Di Natale. Sie kann Ihnen bestätigen, dass Di Natale zu Giuseppe Pirri in dessen blauen Punto gestiegen ist. Und mit diesem Punto wollte Pirri mich totfahren.«
»Was sollte Pirri für einen Grund gehabt haben?«
»Das würde ich gerne von ihm erfahren.«
»Wie gesagt: unmöglich.«
»Wie heißt Pirris Anwalt?«
Balboni stöhnte.
»Ich bekomme es sowieso heraus. Sie könnten mir allerdings ein paar Umwege ersparen.«
»Warum sollte ich?«
»Weil Sie mich sympathisch finden und ich Ihnen zur Hand gehe.«
»Inwiefern?«
»Ich habe für Sie herausgefunden, dass Pirri nicht der Mörder von Di Natale ist.«
»Was?«
Lunau hörte im Hintergrund wieder das Gewirr ausgelassener Stimmen. Sie schienen Englisch zu reden.
»Sind Sie auf einem Empfang?«
»Wie kommen Sie darauf ?«
»Es wird Englisch geredet.«
»Freunde meiner Frau. Sie ist Irin.« Besteck klapperte, jemand schrie auf, weil er ein Glas verschüttet hatte. Dann wurde es stiller, Balboni schien mit dem Handy in einen Nebenraum gegangen zu sein.
»Wer dann?«, fragte er.
»Weiß ich nicht.«
»Warum sollte Pirri ein falsches Geständnis ablegen?«
»Offensichtlich hat er Schulden bei den falschen Leuten. Und das Gefängnis macht ihm weniger Angst als diese Leute. Machen Sie ihm klar, dass er im Knast nicht sicherer ist als draußen, dann sagt er Ihnen vielleicht die
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