Acqua Mortale
dachte, wir wären eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt und kein Unternehmen.«
»Sie kennen sie doch. Sie redet halt gerne in solchen Begriffen.«
»Das Schlimme ist, dass sie nicht nur so redet.«
»Jedenfalls müssen Sie hingehen.«
»Okay«, sagte Lunau, und er spürte dieses unangenehme Brennen im Magen, wie als Kind, wenn er in das große Schulgebäude aus graubraunem Klinker trat.
»Es ist ihr nämlich leider nicht entgangen, dass Sie gestern nicht da waren.«
»Was?«
»Sie hat mal überall ›Hallo‹ gesagt.«
Lunau versuchte, sich das vorzustellen. Würde die Gerstner das jetzt jeden Montag tun? »Ich kann doch in der Kantine gewesen sein.«
»Sie hat sich umgehört.«
»Bei wem?«
Beate schwieg. Auch das gehörte zu ihren Tugenden. Sie schwärzte niemanden an. »Jedenfalls hat sie danach einen Blick in die Urlaubsanträge und die Krankmeldungen geworfen.«
»Ich habe eine behördliche Bestätigung für die Vorladung.«
»Gut. Aber ich bitte Sie, kommen Sie morgen pünktlich und gehen Sie übermorgen zu der Konferenz.«
Lunau verabschiedete sich und bestellte einen Cappuccino. Am Eingang der Universität standen junge Leute in Trauben zusammen und rauchten, in einem unaufhörlichen, vermeintlich sinnlosen Wechselspiel strömten die Studenten in das Gebäude hinein und heraus.
Lunau versuchte, sich zu konzentrieren. Aber jeder Gedanke, den er sponn, zerfiel, und dann zerfiel auch der folgende. Das ganze Geflecht aus vermeintlich logischen Handlungen, das er seit Mittwochabend geschaffen hatte, löste sich in Nichts auf. Wenn Pirri gelogen hatte, weil er das Geld von Di Natale garnicht brauchte, dann hatte auch Dany gelogen. Denn die Geschichten der beiden waren aufeinander abgestimmt. Und Silvia? »Die Mama will ihn nicht mehr«, hatte Sara gesagt. Lunau dachte an das Bild der bunten brennenden Holzscheite. Vitos Bilder. Zerstückelt. Silvia hatte sie also zuerst zerkleinert und dann in ihrem Garten ein Feuer angezündet. Sie hatte sogar die Kinder damit spielen lassen. Wie stark war ihr Hass, wenn er sogar die Mutterinstinkte überstieg?
Ein Geländewagen schob sich vor die Glastür der Bar. Zwei nicht mehr ganz junge Frauen in Pelzmänteln und hochhackigen Stiefeln stiegen aus. Sie ließen einfach den Motor laufen, während sie sich ein Schaufenster aus der Nähe betrachteten. Der Dieselmotor gab das für die jüngere Generation typische Pfeifen von sich, das über dem stark gedämpften Nageln lag. Autos stauten sich, ein Fahrer fing zu gestikulieren und zu hupen an. Die Frauen stiegen ein und machten eine obszöne Geste. Der Fahrer des Wagens, der direkt dahinter wartete, kurbelte das Seitenfenster herunter und schimpfte im Dialekt.
»Was willst du mit deinem rollenden Hühnerkäfig?«, schrie die Frau zurück. Der Mann saß in einem Punto. Ein Punto hinter einem BMW-Geländewagen. Ein merkwürdiger Zufall. Der Benzinmotor des Kleinwagens schnurrte sanft. Ein BMW-Geländewagen und ein Fiat Punto …
Lunau holte sein Aufnahmegerät aus der Tasche, schaltete es ein, machte dem Kellner ein Zeichen und lief durch die Tür. Er richtete das Mikro zuerst auf den BMW, nach zehn Sekunden auf den Punto.
Amanda kam aus dem Universitätsgebäude und ging eiligen Schrittes zu einer Bushaltestelle. Lunau kehrte in die Bar zurück, bezahlte, nahm seine Sachen und schob sich mit seinem Gepäck in den dichten Strom der Passanten. Er suchte nach einem Taxi, während Amanda, ab und zu einen Blick in die Schaufenster werfend,unter den breiten Arkaden der Via dell’Indipendenza entlangging. Lunau hatte Mühe zu folgen. Die Rollen seines Koffers wurden immer wieder durch Split blockiert, und der Riemen seiner Laptoptasche schnitt in die Schulter. Als endlich ein Taxi hielt, hatte er Amanda aus den Augen verloren. Er versuchte, sich zu erinnern, wo Amanda ihren Wagen geparkt hatte. Das Taxi rollte eine Viertelstunde lang zwischen Wohnblöcken umher, die alle gleich aussahen. Aber Lunau hatte sich die Buslinie gemerkt, fand die Haltestelle und schließlich auch den Wagen. Nach einer weiteren Viertelstunde traf Amanda ein. Lunau wies den Fahrer an zu folgen. Sie fuhren durch die breite Via Stalingrado Richtung Stadtrand, dann auf den mehrspurigen Umgehungsring. Als Amanda an einer Mautstelle hielt, sagte der Taxifahrer: »Hier endet mein Revier.«
»Machen Sie eine Ausnahme, ich zahle Ihnen den doppelten Tarif.«
Der Fahrer schüttelte den Kopf. »Steigen Sie bitte aus.«
»Hier, an der
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