Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
war, verdunkelten sie sich, bis sie beinahe schwarz aussahen. Sie erkannte sowohl seine Intelligenz als auch einen Ehrgeiz, der den ihren widerspiegelte. Und er hatte wenigstens keine Komplexe, wenn es darum ging, mit einer Frau zusammenzuarbeiten, die ihm als Dienstältere übergeordnet war, und wenn es ihm doch etwas ausmachte, dann verstand er es jedenfalls besser als seine Kollegen, dies zu verbergen. Kate sagte sich auch, daß sie anfing, ihn attraktiv zu finden, als ob dieses nüchterne Eingeständnis sie vor eventuellen törichten Anwandlungen bewahren könnte. Sie hatte schon zu viele Kollegen gesehen, die sich ihr Leben ruinierten, weil sie sich in ein Verhältnis mit einem Kollegen einließen, das immer sehr viel leichter zu beginnen als zu beenden war.
Um sein Vertrauen zu erwidern und auch, weil sie fürchtete, eben zu schroff gewesen zu sein, sagte sie: »Bei uns auf der Gesamtschule in Ancroft waren bestimmt ein Dutzend verschiedener Religionen vertreten, und da war immer irgendein Fest oder ein Feiertag angesagt. Normalerweise waren das Kostümfeste, bei denen ordentlich Krach gemacht wurde. Die Schule vertrat offiziell den Standpunkt, daß alle Religionen gleich wichtig seien, aber ich muß zugeben, daß ich daraus letzten Endes den Schluß zog, sie seien alle gleich unwichtig. Vermutlich kommt das dabei heraus, wenn man Religion nicht mit innerer Überzeugung lehrt – dann wird sie halt ein langweiliges Fach, genau wie jedes andere. Vielleicht bin ich aber auch bloß ein geborener Heide. Ich hab’s nicht so mit diesem ganzen Theater um Sünde, Gottesstrafe, Opfer und Buße. Wenn ich einen Gott hätte, dann wünschte ich ihn mir intelligent, fröhlich und amüsant.«
»Ich glaube, auch der würde Ihnen auf dem Weg in die Gaskammer kein großer Trost sein«, sagte Daniel. »Da wäre Ihnen ein rächender Gott vielleicht sogar lieber. Übrigens, das ist doch die Straße, oder?«
Sie fragte sich, ob er das Thema leid war oder bloß wieder etwas Distanz schaffen wollte. »Ja, stimmt«, sagte sie, »sieht aus, als wären die Häuser mit den hohen Nummern am anderen Ende.«
Links vom Eingang befand sich eine Türsprechanlage. Kate drückte auf die Klingel, und als sich eine Männerstimme meldete, sagte sie: »Hier sind Inspector Miskin und Inspector Aaron. Wir möchten zu Mr. Farlow. Er erwartet uns.«
Sie lauschte auf den Summton, um nicht den Moment zu verpassen, in dem die Tür sich öffnen ließ, aber statt dessen sagte dieselbe Stimme: »Ich komm’ runter.«
Sie warteten anderthalb Minuten, aber Kate kam es länger vor.
Sie sah schon zum zweiten Mal nach der Uhr, als die Tür aufging und sie einem untersetzten jungen Mann gegenüberstanden, der barfuß war und hautenge, blauweiß karierte Hosen und ein weißes Sweatshirt trug. Sein Haar war zu einem ganz kurzen Mecki geschoren, wodurch der runde Schädel aussah wie ein borstiger Besen. Er hatte eine breite, fleischige Nase, und die kurzen, drallen, braun behaarten Arme waren weich und mollig wie die eines Kindes. Kate fand ihn knuddelig wie einen Teddybären; fehlte nur noch das Preisschild an dem Ohrstecker in seinem linken Ohr, und die Illusion wäre perfekt. Aber die wäßrig blauen Augen sahen ihr mißtrauisch entgegen, ein Ausdruck, der sich dann, als der Blick des Mannes dem ihren begegnete, in offene Feindseligkeit verwandelte. Als er sprach, lag nichts Einladendes in seiner Stimme. Ohne von dem dargebotenen Dienstausweis Notiz zu nehmen, sagte er: »Sie kommen wohl besser mit rauf.«
In dem schmalen Flur war es sehr warm, und die Luft war mit einem exotischen Duft parfümiert, teils würzig herb, teils blumig, den Kate ganz angenehm gefunden hätte, wenn er nur nicht so stark gewesen wäre. Sie folgten ihrem Führer die schmale Treppe hinauf und fanden sich in einem Wohnraum wieder, der die ganze Länge des Hauses einnahm. Ein Rundbogen zeigte an, wo sich früher eine Trennwand befunden hatte. An der Rückseite war ein kleiner Wintergarten mit Blick ins Grüne angebaut. Kate, die von sich glaubte, sie beherrsche die Kunst, ihre Umgebung in allen Einzelheiten wahrzunehmen, ohne dabei ihre Neugier zu verraten, hatte vorerst nur Augen für den Mann, dessentwegen sie gekommen waren. Er saß halb aufgerichtet, von mehreren Kissen gestützt, in einem Bett rechts von der Tür zum Wintergarten, und man sah auf den ersten Blick, daß er im Sterben lag. Sie hatte dieses äußerste Stadium der Auszehrung schon oft genug im Fernsehen gesehen,
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