Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
dem Motto: Verlieren wir das Haus, dann verlieren wir auch den Verlag. Backstein und Mörtel wurden zum Symbol erhoben, sogar auf dem Briefkopf.«
»Stein und Marmor«, hatte Jean-Philippe gesagt und auf Gerards fragenden Blick hinzugefügt: »Stein und Marmor, nicht Backstein und Mörtel.«
»Die Rückfront ist jedenfalls aus ganz ordinärem Backstein. Architektonisch ist dieses Haus ein Bastard. Man rühmt zwar immer lautstark, wie brillant Charles Fowler den georgianischen Spätstil mit der venezianischen Renaissance vermählte, aber ich finde, er hätte lieber die Finger davon lassen sollen. Nein, nein, von mir aus kann Hector Skolling Innocent House mit Kußhand kriegen.«
»Aber Frances wird unglücklich sein.«
Das hatte er damals nur gesagt, um überhaupt etwas zu sagen; Frances’ Unglück berührte ihn nicht. Der Wein entfaltete sich stark und fruchtig an seinem Gaumen. Wie gut, daß er die kernigen Roten immer noch vertrug.
Gerard hatte abgewinkt. »Ach, sie kommt schon drüber weg. Die Peverells fühlen sich ja alle verpflichtet, Innocent House zu lieben, aber ich bezweifle, daß ihr wirklich so viel dran liegt.« Und einer Gedankenassoziation folgend, fragte er: »Du hast doch letzten Montag meine Verlobungsanzeige in der Times gelesen?«
»Nein. Ich plage mich nicht mehr mit den Tageszeitungen herum. Der Spectator bringt eine Zusammenfassung der wichtigsten Nachrichten im Wochenrückblick. Diese halbe Seite reicht aus, um mir zu bestätigen, daß die Welt sich im großen und ganzen genauso weiterdreht wie bisher. Ich hoffe, deine Ehe wird glücklich werden. Die meine war’s.«
»Ja, ich fand auch, daß ihr immer prima miteinander ausgekommen seid, Mutter und du.«
Er hatte Gerards Verlegenheit förmlich riechen können. Die Bemerkung stand in ihrer krassen Unrichtigkeit zwischen ihnen wie ein Wölkchen beißenden Rauchs. Jean-Philippe sagte ganz ruhig: »Ich habe nicht an deine Mutter gedacht.«
Und als er jetzt auf das ruhige Altwasser hinaussah, war ihm, als habe er nur in jenen turbulenten Kriegstagen wirklich gelebt. Er war jung gewesen, leidenschaftlich verliebt, erregt durch die ständige Gefahr, stimuliert vom Sendungsbewußtsein dessen, der schon früh nach einer Führerrolle strebt, begeistert von einem schlichten, bedingungslosen Patriotismus, der für ihn zur Religion geworden war. Inmitten der verwirrenden Vielfalt politischer Bekenntnisse während des Vichy-Regimes war seine Loyalität immer absolut und unerschütterlich gewesen. Nichts, aber auch gar nichts hatte seither je wieder an das Wunder jener Jahre herangereicht, an die Begeisterung, den prickelnden Reiz, die Intensität, mit der er jeden einzelnen Tag gelebt hatte. Selbst nachdem Chantal getötet worden war, hatte er sich in seiner Entschlossenheit nicht beirren lassen, auch wenn ihn die Erkenntnis verstörte, daß er den Maquis, Partisanentruppen des französischen Widerstands, ebenso für ihren Tod verantwortlich machte wie die deutschen Besatzungstruppen. Er selbst hatte nie daran geglaubt, daß der wirksamste Widerstand in bewaffneten Aktionen oder dem Mord an deutschen Soldaten bestehen könne. Und dann war 1944 die Befreiung gekommen und mit dem Triumph eine Reaktion, die sich seiner so unerwartet und heftig bemächtigte, daß er sich danach vollkommen demoralisiert, ja apathisch fühlte. Nur da, im Augenblick des Sieges, fand er Raum und Zeit für die Trauer um Chantal. Er kam sich unendlich leer vor, wie ein Mensch, der keines Gefühls mehr fähig ist, mit Ausnahme dieser übergroßen, erdrückenden Trauer, die in ihrer schmerzlichen Sinnlosigkeit Teil einer größeren, einer weltumspannenden Trauer zu sein schien.
Rachegelüste hatte er keine empfunden, und es machte ihn krank vor Ekel, als er mit ansehen mußte, wie den Frauen, die sich nachweislich mit dem Feind eingelassen hatten, der Kopf kahlgeschoren wurde, oder wenn er von den Vendetten erfuhr, den Säuberungsaktionen des Maquis und den Schnellgerichten, die in der Puy-de-Dôme dreißig Menschen ohne regulären Prozeß hinrichten ließen. Wie die meisten in der Bevölkerung war auch er froh, als den Anführern des État Français ordentlich der Prozeß gemacht wurde, aber das eigentliche Verfahren und die Urteilssprüche interessierten ihn schon nicht mehr. Er hatte kein Mitleid mit den Kollaborateuren, die die Résistance verraten oder die gefoltert und gemordet hatten. Aber in jenen unsicheren Zeiten hatten viele Kollaborateure des Vichy-Regimes
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