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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Ja, er mußte seinem Opfer nicht mal ins Gesicht sehen.«
    »Einer von beiden hätte aber später noch mal raufgehen und die Nummer mit der Schlange inszenieren müssen. Da durfte man nicht zimperlich sein. Dazu hat schon ganz schön viel Kaltblütigkeit gehört. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß Claudia Etienne das fertiggekriegt hat, nicht bei ihrem eigenen Bruder.«
    »Ach, ich weiß nicht. Wenn sie schon bereit war, ihn umzubringen, warum sollte sie dann vor einer Leichenschändung zurückschrecken? Wollen Sie fahren oder soll ich?«
    Als Kate am Steuer saß, telefonierte Daniel mit Wapping. Offenbar gab es Neuigkeiten. Als er nach ein paar Minuten wieder auflegte, sagte er: »Der Laborbericht ist da. Robbins hat mir gerade die Blutanalyse in allen Einzelheiten vorgekaut. Die Blutsättigung betrug dreiundsiebzig Prozent an Kohlenmonoxyd. Wahrscheinlich ist er ziemlich schnell gestorben. Schwindelgefühl und Kopfweh setzen bei dreißig Prozent ein, Inkoordination und Verwirrungszustände bei vierzig Prozent, Erschöpfung bei fünfzig und Bewußtlosigkeit bei sechzig Prozent. Schwächeanfälle können ganz plötzlich auftreten, bedingt durch muskuläre Hypoxie.«
    »Haben Sie auch was über die Schlacke, die den Abzug blockierte?« fragte Kate.
    »Ja, die kam aus dem Kamin. Ist vom Material her ganz klar identisch. Aber damit hatten wir ja beinahe gerechnet.«
    »Wir wissen auch, daß der Gasofen nicht defekt ist«, sagte Kate, »und wir haben keine verwertbaren Fingerabdrücke. Was ist mit der Zugschnur am Oberlicht?«
    »Da wird’s jetzt kompliziert. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie vorsätzlich und über einen längeren Zeitraum mit einem stumpfen Werkzeug präpariert worden, aber mit hundertprozentiger Sicherheit kann das Labor das nicht sagen. Fest steht, daß die Fasern nicht zerschnitten wurden, sondern gequetscht und zerdrückt. Die restliche Schnur war alt und teilweise schon ziemlich dünn, aber das Labor sieht keinen Grund, warum sie ausgerechnet an der Stelle gerissen ist – es sei denn, jemand hat dran rumgefummelt und nachgeholfen. Ach ja, und dann haben sie noch was gefunden. Am Kopf der Schlange war ein winzig kleines Tröpfchen Schleim. Das bedeutet, der Schlangenkopf wurde der Leiche unmittelbar oder zumindest sehr bald nach Entfernen des scharfkantigen Gegenstands in den Mund gerammt.«

42
    Am Sonntag, dem 17. Oktober, fuhr Dalgliesh mit Kate nach Brighton, wo sie die Schwester von Sonia Clements in ihrem Kloster aufsuchen wollten. Er hätte diese Vernehmung zwar lieber allein geführt, aber ein Kloster, selbst ein anglikanisches, war auch für den Sohn eines mit der High Church liebäugelnden Pfarrers ungewohntes Terrain, das behutsame Annäherung gebot. Brachte er von sich aus keine Anstandsdame mit, würde man ihm womöglich gar nicht gestatten, Schwester Agnes ohne Beisein der Mutter Oberin oder einer anderen Nonne zu sprechen. Er wußte selber nicht genau, was er sich von dem Besuch erhoffte, aber sein Instinkt sagte ihm, daß da etwas in Erfahrung zu bringen war. Und auch wenn er diesem Instinkt manchmal mißtraute, hatte er doch gelernt, ihn nicht zu ignorieren. Die beiden Tode in Innocent House verband, bei aller Verschiedenheit, mehr als jene kahle Dachkammer, in der ein Mensch freiwillig aus dem Leben geschieden war, während der andere verzweifelt darum gekämpft hatte. Sonia Clements hatte vierundzwanzig Jahre lang für Peverell Press gearbeitet; Gerard Etienne hatte sie entlassen. War dieser unbarmherzige Schritt ein ausreichender Grund für den Selbstmord? Und wenn nicht, warum hatte sie dann sterben wollen? Und vor allem, wer (wenn überhaupt jemand) könnte den Wunsch gehabt haben, diesen Tod zu rächen?
    Das Wetter hielt. Sobald der Frühnebel sich gelichtet hatte, versprach es wieder ein milder, schöner Tag zu werden, auch wenn die Sonne sich vielleicht etwas launisch zeigen würde. Sogar in London lag ein Hauch von lauer Sommerbrise in der Luft, und ein leichter Wind vertrieb die letzten dünnen Wolkenfetzen vom azurblauen Himmel. Auf dem umständlichen Weg durch die südlichen Vororte überkamen Dalgliesh unversehens Kindersehnsüchte nach Meeresrauschen und Wellengang, und er hoffte insgeheim, das Kloster möge direkt am Strand liegen. Unterwegs sprachen Kate und er kaum miteinander. Dalgliesh redete beim Fahren nicht gern, und Kate konnte Schweigsamkeit ertragen, ohne dagegen anplappern zu müssen, was, dachte er, nicht der geringste ihrer Vorzüge war. Er

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