Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
ein Sadist.«
Dalgliesh sagte ruhig: »Dafür haben Sie keinerlei Beweise, Kate.«
»Warum zum Teufel hat sie sich das gefallen lassen? Sie war eine erfahrene, angesehene Lektorin. Sie hätte doch woanders hingehen können!«
»Sie hat ihn geliebt.«
»Ja, und ihre Schwester liebt Gott. Sie ist auf der Suche nach Frieden. Ich hatte allerdings nicht den Eindruck, daß sie ihn gefunden hat. Wie könnte sie auch, wenn nicht einmal die Zukunft des Klosters gesichert ist.«
»Frieden hat der Gründer ihrer Religion auch nicht versprochen. ›Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.‹« Ein Blick auf Kates Gesicht verriet ihm, daß sie mit dem Zitat nichts anfangen konnte, und er wechselte taktvoll das Thema. »Dieser Besuch hat uns ein gutes Stück weitergebracht. Wir wissen jetzt, warum Sonia Clements gestorben ist und daß ihr Tod nichts – oder doch nur sehr wenig – damit zu tun hatte, wie sie von Gerard Etienne behandelt wurde. Anscheinend gibt es niemanden, der ein Motiv gehabt hätte, ihren Tod zu rächen. Wir wußten zwar schon, daß Besucher in Innocent House nach Lust und Laune herumspazieren konnten, aber es ist doch gut, Schwester Agnes’ Bestätigung dafür zu haben. Und dann wäre da noch die wirklich interessante Information über das Archiv. Laut Schwester Agnes war Henry Peverell strikt dagegen, daß sie den Auftrag bekam, es aufzuarbeiten. Und Jean-Philippe Etienne hat ja auch erst nach seinem Tod seine Zustimmung gegeben, daß Gabriel Dauntsey die Aufgabe übernahm.«
»Noch interessanter hätte ich es gefunden«, sagte Kate, »wenn die Etiennes dafür gewesen wären, das Archiv unangetastet zu lassen. Warum Henry Peverell nicht wollte, daß Sonia Clements’ Schwester dort arbeitet, liegt ja auf der Hand. Das hätte sein kleines Arrangement mit seiner Geliebten gestört.«
»Das ist die naheliegende Erklärung und wie die meisten ihrer Art wahrscheinlich auch die zutreffende. Aber es könnte auch noch etwas anderes im Archiv sein, an das Henry Peverell nicht rühren wollte, etwas, von dem er entweder wußte oder vermutete, daß es dort oben lag. Doch eine Verbindung mit Gerard Etiennes Tod läßt sich da auf den ersten Blick nicht erkennen. Sie haben ganz recht, es wäre interessanter, wenn die Etiennes diejenigen wären, die sich gegen die Aufarbeitung des Archivs sträubten. Trotzdem denke ich, wir werden uns diese Papiere einmal vornehmen.«
»Alle, Sir?«
»Wenn es nötig ist, Kate.«
43
Es war jetzt Sonntag abend halb zehn, und Aaron und Robbins gingen oben in Innocent House die Akten durch. Dazu benutzten sie Schreibtisch und Stuhl im kleinen Archiv. Nach einer Methode, die Daniel ausgetüftelt hatte, sahen sie systematisch Regalreihe für Regalreihe im Hauptarchiv durch, nahmen jeden Ordner, der aufschlußreich schien, heraus und brachten ihn zur näheren Untersuchung ins kleine Archiv. Es war eine entmutigende Aufgabe, da keiner wußte, wonach sie eigentlich suchten. Daniel hatte ursprünglich damit gerechnet, daß zwei Leute wochenlang mit dieser Aufgabe beschäftigt sein würden, aber dann kamen sie doch überraschend zügig voran. Wenn ADs Verdacht begründet war und hier tatsächlich Papiere lagerten, die helfen konnten, den Mord an Etienne aufzuklären, dann mußte jemand sie vor relativ kurzer Zeit eingesehen haben. Das aber bedeutete, daß man die ganz alten Ordner aus dem neunzehnten Jahrhundert, von denen viele augenscheinlich seit gut hundert Jahren niemand mehr in der Hand gehabt hatte, getrost außer acht lassen konnte, vorläufig zumindest. Mit dem Licht hatten sie keine Schwierigkeiten; die schirmlosen Deckenbirnen hingen jeweils nur knapp einen Meter voneinander entfernt. Aber es war eine staubige, ermüdende und langweilige Arbeit, die Daniel zudem ohne jeden Optimismus verrichtete.
Bald nach halb zehn entschied er, für einen Abend sei es nun genug. Gleichzeitig hatte er aber nicht die geringste Lust, nach Bayswater in seine Wohnung zu gehen, ja der Gedanke daran widerstrebte ihm so sehr, daß er mit Freuden jede sich bietende Alternative wahrgenommen hätte. Seit Fenella in die Staaten abgereist war, hatte er ohnehin so wenig Zeit wie möglich zu Hause verbracht. Sie hatten erst vor achtzehn Monaten zusammen eine Wohnung gekauft, und er hatte schon ein paar Wochen nach dem Einzug gemerkt, daß es ein Fehler gewesen war, sich mit ihr auf eine gemeinsame Hypothek und ein Leben zu zweit einzulassen.
Bevor sie damals zusammenzogen, hatte
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