Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Fenella gesagt: »Es wird natürlich jeder sein eigenes Zimmer haben, Darling. Wir brauchen schließlich beide unsere Privatsphäre.« Später sollte er sich manchmal fragen, ob er sich da nicht verhört hatte. Denn Fenella brauchte nicht nur keine Privatsphäre, sie hatte auch keineswegs die Absicht, ihm die seine zu lassen, das heißt, sie konnte es gar nicht, einfach weil sie absolut keine Ahnung hatte, was das Wort bedeutete. Leider zu spät erinnerte er sich eines Kindheitserlebnisses, das ihm eine Lehre hätte sein sollen. Eine Freundin seiner Mutter hatte dieser einmal selbstgefällig erzählt: »Wissen Sie, in unserer Familie gehen Bücher und Bildung über alles«, während gleich daneben ihr sechsjähriger Sohn seelenruhig und ungestraft Daniels Ausgabe der Schatzinsel in Fetzen riß. Daraus hätte er doch wirklich lernen sollen, daß die Selbsteinschätzung des Menschen sich selten mit seinem tatsächlichen Verhalten deckt. Trotzdem hatte Fenella in dieser Beziehung einen Rekord aufgestellt. Die Wohnung war ständig voller Menschen gewesen; Freunde kamen unangemeldet vorbei, wurden in der Küche verköstigt, kriegten Krach miteinander und versöhnten sich auf dem Sofa, badeten in seiner Wanne, führten Auslandsgespräche von seinem Telefon aus, plünderten seinen Kühlschrank und tranken sein Bier. Nie war es ruhig in der Wohnung, nie waren sie beide allein. Sein Schlafzimmer wurde ihr gemeinsames Schlafzimmer, hauptsächlich weil das von Fenella in der Regel von irgendeinem gerade obdachlosen Kumpel belegt war. Auf wildfremde Leute hatte Fenella eine geradezu magische Anziehungskraft. Ihre schier unerschütterlich gute Laune war es, was sie so unwiderstehlich machte. Selbst seine Mutter hätte sie wahrscheinlich becirct, wenn er je zugelassen hätte, daß sie sich kennenlernten. Fenella hätte ihr, ohne mit der Wimper zu zucken, versprochen, daß sie zum jüdischen Glauben übertreten würde. Denn entgegenkommend war sie, das mußte man ihr lassen.
Fenellas zwanghafter Drang zur Geselligkeit ging mit einer Schlampigkeit einher, über die er in den achtzehn Monaten ihres Zusammenlebens aus dem Staunen nicht herauskam und die er vor allem nicht mit ihrer Pingeligkeit in ganz und gar nebensächlichen Fragen in Einklang bringen konnte. So erinnerte er sich, wie sie einmal ein Ensemble dreier kleiner Drucke, vertikal an einer Schnur aufgezogen und von einer Schleife gekrönt, an die Wohnzimmerwand gehalten hatte. »Ist es hier richtig, Darling, oder lieber zwei, drei Zentimeter weiter links? Was meinst du?«
In seinen Augen spielte das kaum eine Rolle, jedenfalls nicht, solange sich in der Küchenspüle das schmutzige Geschirr stapelte, man die Badezimmertür nur mit Gewalt aufdrücken konnte, weil sich dahinter ein Haufen dreckiger und übelriechender Handtücher türmte, die Betten ungemacht waren und im ganzen Schlafzimmer Kleidungsstücke verstreut lagen. Gepaart mit dieser häuslichen Schlamperei war rätselhafterweise ein regelrechter Waschzwang, was dazu führte, daß in der Wohnung ständig Lärm herrschte, weil entweder die Waschmaschine schepperte oder die Dusche rauschte.
Er entsann sich, wie sie das Ende ihrer Beziehung verkündet hatte: »Darling, Terry möchte, daß ich zu ihm nach New York komme. Schon nächsten Donnerstag. Er hat mir ein Flugticket geschickt, erster Klasse. Ich dachte, es macht dir nichts aus. Wir haben ja in letzter Zeit ohnehin nicht mehr viel Spaß miteinander gehabt, oder? Findest du nicht auch, daß unserer Beziehung ein wesentliches Element abhanden gekommen ist? Jenes kostbare Etwas, das wir einmal besaßen, wir haben’s verloren. Hast du nicht auch das Gefühl, daß uns da etwas zwischen den Fingern zerronnen ist?«
»Du meinst, außer meinen Ersparnissen?«
»Aber Darling, nun werd nicht gemein. Das paßt gar nicht zu dir.«
Er hatte gefragt: »Was ist mit deinem Job? Wie willst du in den Staaten Arbeit finden? Du weißt doch, daß man dazu eine Genehmigung braucht, und die ist weiß Gott nicht leicht zu kriegen.«
»Ach, darum mach’ ich mir erst mal keine Sorgen. Terry schwimmt im Geld. Er sagt, ich kann mir vorläufig die Zeit damit vertreiben, seine Wohnung neu einzurichten.«
Die Trennung war ohne Bitterkeit vor sich gegangen. Seiner Erfahrung nach war es auch fast unmöglich, mit Fenella zu streiten. Er fand sich damit ab, ja amüsierte sich sogar über die Ironie, die in der Erkenntnis steckte, daß dieses sonnige Gemüt mit einem weit ausgeprägteren
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