Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
näheren Parkplatz haben wir leider nicht gefunden.«
»Tja, also Mr. Dauntsey ist eben erst weg. Zu Fuß. Wenn Sie sich beeilen, holen Sie ihn vielleicht noch ein. Aber wenn Sie erst den Wagen holen, dann verpassen Sie ihn womöglich.«
Sie machten sich eilig auf den Weg. Die Frau hielt das Buch schon in der Hand, und ihre Augen glitzerten erwartungsvoll.
Drei Minuten später waren sie wieder da. Matt sah von der Bar her, wie sie, mit Gabriel Dauntsey in der Mitte, zur Tür hereinkamen. Der alte Mann stützte sich auf seine Begleiter und preßte sich ein blutbeflecktes Taschentuch an die Schläfe. Matt eilte ihnen entgegen.
»Was ist passiert?«
Die Frau stammelte sichtlich erschüttert: »Er ist überfallen worden. Sie waren zu dritt, zwei Schwarze und ein Weißer. Sie standen noch über ihn gebeugt, aber als sie uns kommen sahen, sind sie weggerannt. Allerdings mit seiner Brieftasche.«
Der Mann sah sich nach einem freien Stuhl um und half Dauntsey, sich zu setzen. »Wir sollten die Polizei verständigen und einen Krankenwagen rufen.«
Dauntseys Stimme war kräftiger als Matt erwartet hatte. »Nein, nein! Mir fehlt nichts. Ich möchte kein Aufhebens. Es ist bloß eine Schramme, da, wo ich aufs Pflaster aufgeschlagen bin.«
Matt sah ihn unschlüssig an. Die Verletzung schien wirklich nicht so schlimm zu sein, eher schon der Schock, den er davongetragen hatte. Und was hatte es für einen Sinn, die Polizei zu rufen? Die Diebe waren inzwischen ja doch längst über alle Berge, und alles, was bei einer Anzeige herauskäme, wäre ein weiteres minder schweres Vergehen in der Statistik protokollierter, aber ungelöster Verbrechen. Matt, ansonsten ein großer Verfechter der Polizei, war es doch lieber, wenn sie sich in seiner Bar nicht zu oft blicken ließ.
Die Frau sah ihren Mann an und sagte dann in bestimmtem Ton: »Wir müssen sowieso am St.-Thomas-Krankenhaus vorbei. Da bringen wir ihn auf die Unfallstation. Ich denke, das wird wohl das Klügste sein.«
Dauntsey wurde offenbar gar nicht mehr gefragt.
Sie wollen sich so rasch wie möglich der Verantwortung entledigen, dachte Matt, und er konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Als sie fort waren, ging er nach oben, um den Weinvorrat zu prüfen, und da bemerkte er auf einem Tisch an der Tür einen Stapel dünner Bücher. Es gab ihm einen Stich, und er empfand aufrichtiges Mitleid für Gabriel Dauntsey. Der arme Teufel war nicht einmal lange genug geblieben, um seine Bücher zu signieren. Aber vielleicht war das ganz gut so. Es wäre doch für alle Beteiligten sehr peinlich gewesen, wenn er nichts verkauft hätte.
16
Am nächsten Morgen, es war Freitag, der 15. Oktober, erwachte Blackie mit dumpfen Vorahnungen. Ihr erster klarer Gedanke war Furcht vor dem kommenden Tag und vor dem, was sie erwartete. Sie schlüpfte in ihren Morgenrock und überlegte, als sie hinunterging, um Tee zu kochen, ob sie wohl Joan wecken und sie, Kopfweh vorschützend, bitten solle, später in ihrem Namen im Verlag anzurufen und dort Bescheid zu sagen, daß sie krank sei, am Montag aber wieder ins Büro komme. Aber sie gab der Versuchung nicht nach. Der Montag würde nur zu rasch kommen und mit ihm eine noch größere Angst. Außerdem würde es Verdacht erregen, wenn sie gerade heute nicht zur Arbeit erschien. Alle wußten schließlich, daß sie sich normalerweise nicht einfach frei nahm und daß sie praktisch nie krank war. Nein, sie mußte ins Büro gehen, als wäre dies ein ganz gewöhnlicher Tag.
Zum Frühstück konnte sie nichts essen. Schon beim Gedanken an Eier und Speck wurde ihr übel, und auch das Müsli blieb ihr schon beim ersten Löffel im Halse stecken. Am Bahnhof kaufte sie sich wie gewöhnlich den Daily Telegraph, hielt ihn aber während der Fahrt ungeöffnet an sich gepreßt und starrte blicklos auf das vorbeihuschende Kaleidoskop der Londoner Vororte.
Die Fähre ging mit fünfminütiger Verspätung vom Charing-Cross-Pier ab. Mr. de Witt, sonst immer die Pünktlichkeit in Person, kam just in dem Moment den Anlegesteg heruntergerannt, als Fred Bowling sich entschlossen hatte, endlich abzulegen.
»Tut mir leid«, keuchte Mr. de Witt, »ich hab’ verschlafen. Danke, daß Sie auf mich gewartet haben. Ich dachte schon, ich müßte das zweite Boot nehmen.«
Nun waren also alle versammelt, die übliche erste Bootsladung: Mr. de Witt, Blackie selbst, Maggie Fitz-Gerald und Amy Holden aus der Werbung, Mr. Elton, zuständig für Rechte und Lizenzen, und Ken vom Lager.
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