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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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bestimmt nicht«, gab Claudia bitter zurück. »Du brauchst sie nicht zu mögen, meinetwegen verachte oder bedauere sie, aber unterschätz sie nur ja nicht. Sie zur Feindin zu haben, könnte gefährlicher sein, als du glaubst.«

15
    Die Gaststube im oberen Stock des Connaught Arms, gleich hinter der Waterloo Road, war gesteckt voll. Matt Bayliss, der Wirt, zweifelte nicht am Erfolg der Dichterlesung. Denn schon um neun hatte die Bar mehr Umsatz gemacht als sonst insgesamt an einem Donnerstagabend. In dem kleinen Saal hier oben wurden normalerweise Lunch-Gäste bewirtet – warmes Abendessen war im Connaught Arms kaum gefragt –, aber hin und wieder stand er auch für eine Veranstaltung zur Verfügung, und Matts Bruder Colin, der für eine Künstlerorganisation arbeitete, hatte ihn überredet, diesen Donnerstagabend auszurichten. Laut Programm würden eine Reihe renommierter Lyriker aus ihren Werken lesen, zwischendrin sollten aber auch Feierabendpoeten, die sich beteiligen wollten, Gelegenheit zum Vortrag bekommen. Pro Person wurde ein Pfund Eintritt erhoben, und Matt hatte im Hintergrund eine Weinbar mit eigener Kasse aufgebaut. Er hätte sich nicht träumen lassen, daß Lyrik so populär war oder daß so viele seiner Stammgäste den Ehrgeiz hatten, sich in Versen auszudrücken. Der Kartenverkauf war von Anfang an gut gelaufen, aber nun strömten immer mehr Nachzügler herein, und als die Gäste unten in der Bar hörten, daß oben was geboten wurde, kletterten auch sie, ihr Glas in der Hand, die schmale Stiege hinauf.
    Colins Passionen waren breitgefächert und up to date. Schwarze Kunst, Frauenkunst, Schwulenkunst, Commonwealth-Kunst, Gebrauchskunst, innovative Kunst, Kunst fürs Volk. Der heutige Abend stand unter dem Motto »Lyrik fürs Volk«. Matts Interesse richtete sich zwar mehr auf »Bier fürs Volk«, aber er sah keinen Grund, warum man die beiden Passionen nicht gewinnbringend miteinander verknüpfen sollte. Colin hatte den Ehrgeiz, aus dem Connaught Arms ein angesehenes Rezitationszentrum für zeitgenössische Volkskunst und ein öffentliches Forum für lyrische Neuentdeckungen zu machen. Matt, der zusah, wie sein Aushilfskellner emsig eine Flasche kalifornischen Roten nach der anderen öffnete, entdeckte plötzlich auch bei sich ein ungeahntes Interesse an zeitgenössischer Kultur. Und so kam er ab und zu aus der Bar herauf, um sich ein paar Kostproben der Darbietung anzuhören. Die vorgetragenen Gedichte blieben ihm größtenteils unverständlich, denn die wenigsten reimten sich oder hatten ein erkennbares Metrum, was nach seiner Definition doch gerade das Wesen eines Gedichts ausmachte, aber sie ernteten ausnahmslos stürmischen Beifall. Da die meisten Laiendichter genau wie die Zuhörer rauchten, war die abgestandene Luft im Saal bald schwer von Bierdunst und Tabakschwaden.
    Als Zugpferd des Abends war Gabriel Dauntsey angekündigt. Er hatte um einen möglichst frühen Auftritt gebeten, aber die meisten seiner Vorredner hatten ihr Zeitlimit überschritten, wobei vor allem die Amateure sich von Colins geflüsterten Regieanweisungen nicht aus der Ruhe bringen ließen, und so war es fast halb zehn, als Dauntsey sich endlich einen Weg zum Rednerpult bahnte. Man lauschte ihm in respektvollem Schweigen und spendete kräftig Beifall, aber Matt spürte trotzdem, daß diese Gedichte über den Krieg, der für die große Mehrheit der Anwesenden nur noch Geschichte war, sie und ihre aktuellen Probleme kaum berührte.
    Nach der Rezitation bahnte Colin sich einen Weg durch die Menge und sagte zu Dauntsey: »Müssen Sie wirklich schon fort? Ein paar von uns wollen nachher noch irgendwo was essen gehen.«
    »Tut mir leid, aber das wird mir zu spät. Wo kann ich ein Taxi bekommen?«
    »Matt könnte Ihnen telefonisch eins bestellen, aber wahrscheinlich geht’s schneller, wenn Sie zum Stand an der Waterloo Road vorlaufen.«
    Dauntsey schlich sich fast unbemerkt und ohne daß Colin ihm noch einmal gedankt hätte hinaus, und Matt wurde das Gefühl nicht los, daß man den alten Mann gekränkt oder zumindest vernachlässigt habe.
    Er war kaum zur Tür heraus, als ein älteres Ehepaar zu Matt an die Bar kam. »Ist Gabriel Dauntsey schon gegangen?« erkundigte sich der Mann. »Meine Frau hat eine Erstausgabe seiner Gedichte, die sie furchtbar gern von ihm signieren lassen würde. Aber wir können ihn oben nirgends finden.«
    »Haben Sie einen Wagen da?« fragte Matt.
    »Ja, aber der steht drei Querstraßen weiter. Einen

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